Ziel der Entwicklung
Lösemittel sind aus ein oder mehreren Komponenten bestehende Flüssigkeiten, die unter den festgelegten Trocknungsbedingungen flüchtig sind. Sie dienen dem Lösen des Bindemittels und von Zusatzstoffen während Herstellung, Transport, Lagerung und Applikation von Beschichtungsstoffen. Von allen Lackrohstoffen nehmen sie eine Sonderstellung ein, da sie lediglich temporäre Funktionen erfüllen, da sie sich während der Applikation und Filmbildung möglichst schnell quantitativ verflüchtigen sollen.
Lösemittel in Beschichtungsstoffen erfüllen vielfältige Aufgaben, wie das Einstellen der Viskosität für die Applikation, die Kontrolle des Trocknungsvorgangs und der Filmbildung, die Beeinflussung der Benetzung und die Steuerung der Oberflächenbeschaffenheit, insbesondere von Glanz und Verlauf.
Das Zurückhalten von Lösemittel im Beschichtungssystem, auch als Lösemittelretention bezeichnet, als Folge eines unvollständigen Trocknens nach Applikation und Filmbildung kann zu Fehlern wie Poren, Blasen und Rissen sowie Haftfestigkeitsproblemen innerhalb einer Schicht oder zwischen einzelnen Schichten führen. Die drei hauptsächlichen Ursachen für Lösemittelretention sind ein zu hoher Zusatz von Lösemittel zum angelieferten Beschichtungsstoff, zu hohe Schichtdicken einzelner Schichten und zu schnelles Überschichten noch nicht getrockneter Beschichtungen.
Lösemittelretention lässt sich vermeiden, indem die Verarbeitungsrichtlinien der Beschichtungsstoffhersteller und allgemeine Regeln und Normen für Korrosionsschutzbeschichtungen beachtet werden. Moderne Beschichtungssysteme wie High-Solid-Systeme enthalten wenig Lösemittel. Der Vorteil des geringen Lösemittelgehalts kann jedoch durch anspruchsvollere Verarbeitungsbedingungen erkauft werden, da niedrigere Topfzeiten und die damit einhergehende Viskositätserniedrigung oftmals durch Zugabe von Verdünner kompensiert werden, was zu einer hohen Lösemittelmenge im Beschichtungsstoff und damit zu Lösemittelretention führen kann.
Ein Ziel des Forschungsprojektes war es, praxis- und verarbeitungsrelevante Einflüsse wie zusätzliche Lösemittelzugabe, Überschichtdicke, Topfzeitüberschreitung, Verkürzung von Überarbeitungsintervallen und verzögerte Trocknung auf das Auftreten von Lösemittelretention in Beschichtungssystemen zu ermitteln. Die Ergebnisse sollten mit in der Praxis auftretenden Beschichtungsschäden, den mechanischen Eigenschaften der betreffenden Beschichtungssysteme sowie den Korrosionsschutzeigenschaften bei hoher Korrosionsbelastung in Zusammenhang gebracht werden.
Ein weiteres Projektziel war die Entwicklung einer Prüfmethode zur Quantifizierung der Lösemittelretention und zur Bestimmung der Art der wesentlichen Lösemittel, die über eine Kombination aus Thermogravimetrie und Infrarot-Spektroskopie realisiert werden sollte. Diese neue Prüfmethode sollte der Bestimmung von Lösemittelretention mittels Gaschromatographie-Massenspektrometrie gegenübergestellt werden.
Vorteile und Lösungen
Entwicklung einer neuen Untersuchungsmethode
Mit Hilfe der Kombination aus thermogravimetrischer Analyse (TGA) und Infrarot-Spektroskopie (IR) wurde eine Methode entwickelt, die eine quantitative und qualitative Analyse von retentierten Lösemitteln ermöglicht. Ein TG-Gerät und ein IR-Gerät waren bereits vorhanden. Zur Kopplung beider Analysengeräte wurde eine Geräteerweiterung bestehend aus IR-Gasmesszelle, Steuereinheit des Gasstroms und Verbindungsschlauch erworben und installiert. Das Material wird unter der Verwendung spezieller Tiegel in die TG eingebracht und erhitzt. Das verdunstende Lösemittel wird über den beheizbaren Gasschlauch in die IR-Gasmesszelle transportiert und spektroskopisch erfasst. Die TGA liefert den Masseverlust als Funktion der Zeit und der gewählten Heizbedingungen.
Erzeugung von Lösemittelretention
Es sollten Prüfkörper beschichtet werden, die für die Messungen mittels TG-IR und für die Betrachtung der Korrosionsschutzwirkung verwendet werden sollten. Lösemittelretention wurde erzeugt, indem folgende Verarbeitungsparameter variiert wurden: Überschichtdicke in der Grundbeschichtung, Überschreiten der Topfzeit und Lösungsmittelzugabe bis zur Verarbeitbarkeit, Reduzieren der Überarbeitungsintervalle und Variation der Trocknungsbedingungen. Die Untersuchungen betrachteten Beschichtungssysteme im Bereich Ingenieurbauten und Stahlwasserbau.
Auswirkung von Lösemittelretention auf die Korrosionsschutzwirkung und mechanische Eigenschaften
Die hergestellten Korrosionsschutzbeschichtungen mit den eingebauten Beschichtungsfehlern wurden auf unterschiedliche Art belastet: Neutraler Salzsprühnebeltest nach DIN EN ISO 9227 (NSS), Kondenswasser-Konstantklima nach DIN EN ISO 6270-2 (CH) und Wasserlagerung nach DIN EN ISO 2812-2 (nur Stahlwasserbau). Vor und nach Belastung wurden Prüfungen durchgeführt, um typische Kennwerte für Beschichtungen zu ermitteln: mechanische Kennwerte (Eindruckversuch nach Buchholz nach DIN EN ISO 2815, Schlagversuch nach DIN EN ISO 6272-1), Haftfestigkeit (Gitterschnitt-Kennwert nach DIN EN ISO 2409, Kreuzschnitt-Kennwert nach DIN EN 16276-2) und Beschichtungsschäden (Blasen-, Rost-, Riss- und Abblätterungsgrad nach DIN EN ISO 4628-2 bis 5, Enthaftung und Korrosion am Ritz nach DIN EN ISO 4628-8). Ziel war die Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Lösemittelretention und Korrosionsschutzkennwerten der Beschichtungssysteme.
Zielgruppe und Zielmarkt
Das Forschungsvorhaben umfasste drei wesentliche Zielsetzungen: die Entwicklung einer neuen Prüfmethode (TG-IR), die Erzeugung von Lösemittelretention und die Untersuchung der Auswirkungen von Lösemittelretention auf Korrosionsschutzkennwerte. Eine erfolgreiche Kopplung zwischen TG- und IR-Gerät wurde installiert, und eine Prüfmethode zur Erfassung der Lösemittelretention entwickelt. Diese Methode ermöglicht es, exakte quantitative Ergebnisse zu erzielen und qualitative Aussagen über enthaltene Lösemittelgruppen abzuschätzen. Die GC-MS liefert genaue Informationen, ob ein Lösemittel enthalten ist, jedoch ist die quantitative Bestimmung fehlerbehaftet. Die Vor- und Nachteile von TG-IR und GC-MS wurden gegenübergestellt.
Zur Erzeugung von Lösemittelretention wurde eine Vorgehensweise entwickelt, mit der gleichzeitig beschichtete Prüfbleche für Korrosionsprüfungen und Proben für Lösemittelretentionsmessungen bearbeitet werden konnten. Die Applikation der Beschichtungsstoffe erfolgte mittels Airless-Spritzen, dem in der Praxis häufigsten Verfahren. Gestohlene Stahlbleche (Korrosionsprüfung) und mit Aluminiumfolie versehene Bleche (Lösemittelretention) wurden beschichtet. Die beschichtete Aluminiumfolie wurde in Probestücke für die TG-Tiegel überführt, um das retentierte Lösemittel zu erfassen. Es wurden ein Beschichtungssystem nach TL/TP-KOR-Stahlbauten aus dem Bereich des Straßenwesens und ein System des Stahlwasserbaus untersucht, wobei verschiedene praxisrelevante Verarbeitungsvarianten berücksichtigt wurden.
Die Effekte der Lösemittelretention auf mechanische Eigenschaften der Beschichtung sowie Korrosionsschutzwerte waren gering, obwohl Unterschiede in der Lösemittelretention zwischen den Varianten nachgewiesen werden konnten. Das System nach Blatt 97 gemäß TL/TP-KOR-Stahlbauten zeigte bei reduzierter Überarbeitungszeit und Variation der Trocknungsbedingungen in den ersten Tagen nach der Applikation einen erhöhten Gehalt an eingeschlossenem Lösemittel gegenüber der Referenz, der jedoch nach wenigen Tagen das Niveau der Referenz erreichte. Nur die Variante Überschichtdicke Grundbeschichtung zeigte eine dauerhaft erhöhte Lösemittelretention. Beschichtungsschäden traten nur bei der Verarbeitung mit reduziertem Überarbeitungsintervall nach Belastung im Kondenswassertest auf. Das Beschichtungssystem für den Stahlwasserbau wies eine insgesamt höhere Retention auf, die über den Untersuchungszeitraum von 12 Monaten konstant blieb, jedoch ohne Beeinträchtigung der Korrosionsschutzwerte.