Ziel der Entwicklung

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VB2-TiB2-Sputterkathode zur Eigenspannungsreduzierung

Die Weiterentwicklung von Produktionsprozessen sowie der Fokus auf Energie- und Ressourceneffizienz gehen einher mit immer neuen Werkstoffentwicklungen. Durch den Einsatz von hochfesten Stählen und Legierungen können steigende Anforderungen an die mechanischen Eigenschaften sowie die Einsatzdauer von technischen Bauteilen erfüllt werden. Das führt stets zu neuen anspruchsvollen Bearbeitungsaufgaben und Anforderungen an die Werkzeugtechnik, bei der flexible Fertigungsprozesse bei hoher Bauteilqualität gefordert werden.
Ziel dieses Projektes war deshalb die Entwicklung einer neuartigen Werkzeugbeschichtung für die Hartbearbeitung von schwer-zerspanbaren Materialien. Da Hartstoffschichten üblicherweise hohe (Eigen-)Spannungen im Bereich mehrerer GPa aufweisen und deshalb unter thermischer und mechanischer Belastung bei der Hartbearbeitung zur Rissausbildung bzw. zum Abplatzen neigen, sollten eigenspannungsreduzierte Verschleißschutzschichten mit hoher Abrasionsbeständigkeit entwickelt werden.
Eigenspannungen entstehen bei der Herstellung von Hartstoffbeschichtungen und lassen sich nicht vermeiden, jedoch kann das Spannungsniveau durch geeignete Werkstoffkombinationen, Struktur- und Prozessanpassungen herabgesetzt werden. Eigenspannungsreduzierte Schichten bieten dabei enormes Verbesserungspotenzial, da die inneren Spannungen einen limitierenden Faktor bei der Weiterentwicklung von Beschichtungen und deren mechanischen Eigenschaften darstellen.
Üblicherweise werden die PVD-Schichten im Bereich von 1 - 3 µm abgeschieden, da es bei höheren Schichtdicken aufgrund der inneren Spannung verstärkt zu Abplatzungen kommt. In diesem Projekt sollten PVD-Beschichtungen ebenfalls in einem höheren Schichtdickenbereich prozesssicher hergestellt werden, was den Verschleißwiderstand deutlich erhöhen kann und zudem Lücken zu anderen Beschichtungsverfahren schließt. Aus einer Eigenspannungsreduzierung ergeben sich weiterhin Möglichkeiten zur Verbesserung der Haftfestigkeit aller Schichtsysteme und eine Verringerung der Neigung zur Rissbildung. Diese Faktoren bilden die Grundlage für eine optimale Schutzwirkung der Beschichtung und eine Verbesserung des Verschleißwiderstandes, was sich letztendlich in einer erhöhten Standzeit von beschichteten Zerspanungswerkzeugen widerspiegelt. Deshalb sollten PVD-Verschleißschutzschichten mit folgenden Kennzeichen entwickelt werden: einer Haftfestigkeit > 70 N; einer relativen Reduzierung der Schichteigenspannung und einer Schichtdicke von 5 - 10 µm.
Eine konkrete Vorgabe eines Eigenspannungswertes ist hierbei nicht zielführend, da dieser von den verschiedenen Schichtstrukturen und -zusammensetzungen abhängig ist. Deshalb wurde sich auf die relative Absenkung im Vergleich zu den entsprechenden Ausgangsvarianten fokussiert.
Zum Erreichen der Zielstellung wurden in diesem Projekt aufbauend auf systematischen Untersuchungen des Einflusses von Eigenspannungen auf die mechanischen Eigenschaften neuartige Hochleistungsschichten entwickelt. Hierbei war vorgesehen, vor allem Einflüsse von Prozessparametern und der Materialzusammensetzung analysieren. Der Nachweis der verbesserten Verschleißbeständigkeit und Anwendbarkeit wurde beim Zerspanen für den Anwendungsfall der Hartbearbeitung von hoch-chromlegierte Kaltarbeitsstahl erbracht.

Vorteile und Lösungen

Zu Beginn des Forschungsvorhabens wurden erste Referenzwerte zur Erstellung eines Ist-Standes ermittelt. Dazu wurde eine CrN-Beschichtung mit unterschiedlichen Substratspannungen (Bias-Spannung) abgeschieden und hinsichtlich der Eigenspannung charakterisiert. Diese Versuche zeigten, dass die Bias-Spannung einen erwartbar wichtigen Einfluss auf die Schichteigenspannung hat.
Im Anschluss wurde das Durchbiegungsverfahren mit dem Messgerät Flexus FLX2320-S als Analysemethode beim Antragsteller für Eigenspannungen von PVD-beschichteten Hartmetallgrundkörpern evaluiert. Dazu wurden alle Beschichtungen vergleichend sowohl im Durchbiegungsverfahren als auch mit XRD analysiert.
Im weiteren Verlauf konnte dieses Messgerät für die systematischen Untersuchungen zwischen Einflüssen von relevanten Prozessparametern, Werkstoffkombinationen und Schichtstukturen auf die Eigenspannung sowie weiteren mechanisch-tribologischen Eigenschaften genutzt werden.
Es wurden die Einflussfaktoren für PVD-Beschichtungen auf die Eigenspannungen vor allem für AlCrN- und TiAlN-basierte Schichtsysteme umfassend untersucht und herausgearbeitet. Zu Beginn wurden AlCrN-basierte Schichtsysteme, welche sich durch eine hohe Abrasivbeständigkeit aber vergleichsweise geringe Härte auszeichnen, betrachtet. Faktoren, die zu einer Erhöhung der Eigenspannung führen, sind bspw. eine reduzierte Prozesstemperatur, eine erhöhte Bias-Spannung sowie Multilayerstrukturen. Ein erhöhter Prozessdruck sowie das Zudotieren von Si, B und Vanadium können dagegen eine deutliche Eigenspannungsreduzierung (von 1,7 auf 0,9 GPa, ca. 50 %) bewirken. Gleichzeitig ist es durch die geeignete Auswahl an Legierungselementen möglich, die Härte der Beschichtung zu verdoppeln (von 20 auf 40 GPa). Weiterhin erfolgte die Betrachtung TiAlN-basierter Schichtsysteme, welches universelle Verschleißschutzschichten mit hoher Härte sind. Hierbei konnte in den Voruntersuchungen lediglich durch eine Erhöhung des Prozessdruckes der Eigenspannungswert verringert werden. Jedoch konnte durch die Zugabe von Si, V oder B sowohl die Verschleißbeständigkeit als auch die Härte verbessert werden.
Nach dem Herausarbeiten relevanter Randbedingungen für eigenspannungsarme Beschichtungen wurden komplexere Schichtsysteme mit mehrlagigem Aufbau konzipiert, abgeschieden sowie analysiert. Es wurden unter dem Einsatz der hybriden Beschichtungstechnologie (simultaner Einsatz von ARC- und Sputter-PVD) komplexe, eigenspannungsarme und verschleißbeständige Beschichtungen unter der Zugabe von neuartigen Beschichtungswerkstoffen (z.B. Bor und Vanadium) entwickelt: AlCrN – AlCrTiVBN – TiSiN (Eigenspannung = -1,2 GPa / Härte = 37,4 GPa); TiAlVBN-ML – TiSiN (Eigenspannung = - 0,4 GPa / Härte = 35,5 GPa).
Zusätzlich wurde der Einfluss von Eigenspannungen auf die Haftfestigkeit mittels Scratch-Test untersucht. Hierbei wurden Beschichtungen mit unterschiedlichem Eigenspannungszustand analysiert. Ebenfalls wurde der Einfluss von mechanischen Schichtnachbehandlungsverfahren auf die Schichteigenspannung untersucht. Hierzu wurden beschichtete Probekörper hinsichtlich Rauheit sowie Eigenspannung im Ausgangszustand und nach der Oberflächenbearbeitung analysiert. Es wurde nachgewiesen, dass mechanische Schichtnachbehandlungsverfahren zur Glättung der Oberfläche zwar die Rauheit deutlich reduzieren können, jedoch auch zu einem Anstieg der Eigenspannung führen.
Abschließend wurden Vollhartmetall-Kugelfräser mit den vielversprechendsten neuentwickelten Varianten beschichtet und deren Einsatzfähigkeit in Zerspantests nachgewiesen. Es wurde das Fräsen als 2D-Wellenprofil in dem hoch-chromlegierten Kaltarbeitsstahl 1.2379/ X155CrVMo12 (61 HRC) mit Minimalmengenschmierung als Bearbeitungsstrategie ausgewählt.
Auch wenn in den Zerspanuntersuchungen nicht der Benchmark von verfügbaren Hochleistungsbeschichtungen erreicht werden konnte, wurden die Ziele in diesem Vorlaufforschungsvorhaben erreicht. Hierbei wurde vor allem ein Erkenntnisgewinn hinsichtlich der hybriden PVD-Beschichtung sowie den Zusammenhängen zwischen Werkstoffauswahl, Schichtstruktur, Prozesskenngrößen und Eigenspannungen erzielt. Die Forschungsergebnisse können als Grundlage für weitere Schichtentwicklungen genutzt werden und es wird erwartet, dass die Beeinflussung sowie das gezielte Einstellen von Eigenspannungen bei zukünftigen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben eine entscheidende Rolle spielt und somit für weitere Anwendungsbereiche ein bedeutendes Verbesserungspotenzial aufweist.
Ergänzend wurde der Nachweis erbracht, dass PVD-Beschichtungen durch geeignete Schichtstrukturen sowie Werkstoffauswahl prozesssicher und haftfest in einem Schichtdickenbereich > 10 µm abgeschieden werden können, was die Anwendungsbereiche erweitern und die Lücken zu anderen Beschichtungsverfahren schließen kann. Es wurden hierzu verschiedene Schichtsysteme mit 5 µm, 11 µm sowie 27 µm abgeschieden und analysiert.

Zielgruppe und Zielmarkt

Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens stellen einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt für ein breites Potenzial von Anwendungen dar. Insbesondere im Hinblick auf die Wirkmechanismen im Zusammenspiel mit der Schichtanalyse, konnten Zusammenhänge zwischen Prozessparametern, Werkstoffauswahl sowie Strukturbildung und Schichteigenschaften herausgearbeitet werden, wodurch eine gezielte Schichtentwicklung bei reduzierte Eigenspannung möglich wird.
Durch die Entwicklungen wird das interne wissenschaftlich-technische Know-how der GFE auf dem Gebiet der hybriden PVD-Technologie erweitert und durch den Erkenntnisgewinn wird es möglich, nahezu jede Verschleißschutzschicht mit verringerter intrinsischer Spannung abzuscheiden und somit Schichtdicken > 10 µm prozesssicher zu erreichen. Es wurden für eigene Versuche von verschiedenen Forschungsthemen die Entwicklungen aus diesem Projekt bereits genutzt. So wurden bspw. verschiedene Typen von Zerspanungswerkzeugen mit PVD-Dickschichten im Bereich 10 – 30 µm prozesssicher hergestellt.
Durch die stetigen Entwicklungen in der metallverarbeitenden Industrie entstehen immer neue Werkstoffe, Materialkombinationen oder Fertigungsprozesse, bei denen eine Oberflächenfunktionalisierung in Form von verschleißfesten PVD-Beschichtungen relevant werden. Für weitere Einsatzzwecke können die Schichtsysteme gezielt weiterentwickelt und an die jeweilige Aufgabenstellung, wie Zerspanung, Umformung oder hinsichtlich tribologischer und mechanischer Eigenschaften angepasst werden. Damit können die getätigten Entwicklungen im Bereich von Technologien im Leichtbau und der metallverarbeitenden Industrie, wie z. B. der Automobil-, Kunststoffbranche, Elektrotechnik oder des Maschinenbaus Anwendung finden. Potenzielle Anwender der entwickelten Beschichtungen sind vor allem Hersteller und Anwender von Zerspanungswerkzeugen oder Beschichtungsanlagen.
Aus den Forschungsergebnissen und den ersten Anwendungsversuchen ergeben sich für die Zukunft weitere Entwicklungsarbeiten. Neben der stetigen Optimierung der Verschleißbeständigkeit ergeben sich weitere Aufgabenstellungen im Hinblick auf: Ressourcenschonende Werkzeugherstellung (Beschichtung mit optimierten Prozesszeiten, Entschichtung, Wiederaufbereitung); Verbesserung der intrinsischen Haftfestigkeit (Optimierung der gradierten Übergänge); Beschichtung von schwer beschichtbaren Substraten (CBN, PKD, Schneidkeramik) für weitere Anwendungen in der Zerspanung; Haftfeste Beschichtung komplexer geometrischer Formen im Bereich der additiven Fertigung (z.B. Werkzeuge mit Innenkühlung); Einsatz bei verschiedenen Umgebungsbedingungen (z.B. Kryo-, Trockenbearbeitung) und für weitere Bearbeitungsaufgaben (z. B. Umformungsprozesse).
Um die gewonnen Erkenntnisse aus diesem Projekt wirtschaftlich zu nutzen und am Markt zu platzieren, ist die Verwertung der Ergebnisse mit Hilfe des Technologietransfers und der Zusammenarbeit mit Klein- und mittelständischen Unternehmen geplant. Es ist vorgesehen die gewonnenen Entwicklungsergebnisse über Arbeitskreise, Messen und die Internetpräsenz der GFE einem breiten Anwenderkreis vorzustellen.
Da die GFE Schmalkalden e.V. eine wirtschaftsnahe und gemeinnützige Forschungsvereinigung ist, ergibt sich auch die Notwendigkeit, die FuE-Ergebnisse zum einen als eigene Bereicherung des wissenschaftlich-technischen Know-how zu nutzen und zum anderen die Ergebnisse in geeigneter Weise interessierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Durch die gemeinnützige Vereinsarbeit hat die GFE damit direkten Kontakt zu den entsprechenden am Markt agierenden Firmen im Bereich von Werkzeugen.
(Geplante) Veröffentlichungen: „Entwicklung von eigenspannungsreduzierten PVD-Verschleißschutzschichten für die Bearbeitung von schwer-zerspanbaren Werkstoffen“, Jahresbericht der GFE Schmalkalden 2023 (geplant); Poster zur 15. Schmalkalder Werkzeugtagung, 08.-09.11.2023 (geplant); „Hybride PVD-Beschichtung zur Bearbeitung schwer spanbarer Werkstoffe“, VDMA Technologieforum, 21.09.2023, EMO Hannover; Poster „Micromechanical behavior of hybrid Sputter-Arc-PVD coatings“, 18th International Conference on Plasma Surface Engineering (PSE), 12.-15.09.2022, Erfurt; “Analysis of the micromechanical behaviour of PVD coatings to predict machining and cutting behaviour”, präsentiert auf dem 20. Plansee Seminar, 30.05.-03.06.2022.