Ziel der Entwicklung

Logo: Mit unterschiedlichen transparenten Schutzüberzügen versehene, polierte Silberproben nach identischer H2S-Belastung.
Mit unterschiedlichen transparenten Schutzüberzügen versehene, polierte Silberproben nach identischer H2S-Belastung.

Das Ziel dieses Vorhabens war die Entwicklung einer neuen Methode zur Evaluierung von Korrosionsschutzmitteln für Silber- und Kupferwerkstoffe in Schwefelwasserstoff (H2S)-haltigen Atmosphären. H2S hat eine stark korrosive Wirkung auf viele Metalle, besonders auf Silber und Kupfer. Gefährdet sind z. B. Silberschmuck, Silberbesteck, Elektronik und Hi-Tech-Geräte, Leiterplatten, elektrische Kontakte, Münzen sowie historisch wertvolle Objekte aus Silber in Museen. Bisher ist kein öffentlich anerkanntes Verfahren bekannt, mit dem man die Korrosionsschutzwirkung unter diesen Bedingungen exakt untersuchen und vergleichen kann.
Silber bildet in unreiner, H2S-haltiger Atmosphäre einen dünnen Überzug aus braunschwarzem bis bläulichen Silbersulfid (Ag2S). Diesen Vorgang bezeichnet man üblicherweise als „Anlaufen“, der bereits bei Raumtemperatur abläuft. Dazu genügen bereits geringste Spuren von H2S in der Luft. In urbanen oder industriellen Gebieten liegt die H2S-Konzentration zwischen 0,02 und 5 ppb, obwohl diese noch unterhalb der Geruchsschwelle von ca. 0,01 ppm liegt, reicht sie bereits aus, um Schäden zu verursachen.
In der Natur kommt H2S in variablen Anteilen in Erdgas, Erdöl, als vulkanisches Gas und gelöst in Quellwasser vor. Es wird beim Abbau von Biomasse durch Fäulnis und Verwesung gebildet, z. B. in Abwasserleitungen, Mülldeponien und bei der Verdauung. In der Industrie fällt H2S als Nebenprodukt in Zellstofffabriken, Ölraffinerien und der Schwerindustrie an. In der Nähe solcher Orte ist mit erhöhter H2S-Belastung zu rechnen, die oft zeitweilig oder langanhaltend 100 µg/m³ überschreiten, kurzzeitig sogar diesen Wert um das 100fache.
Die Leitfähigkeit von Ag2S ist deutlich geringer als die von Silber, das häufig wegen seiner guten Leitfähigkeit (höchste aller Metalle) in der Elektronik eingesetzt wird. Ab einer Ag2S-Dicke von 20 nm kommt es üblicherweise zu Leitfähigkeitsproblemen an elektrischen Kontakten. Diese soll bereits nach 100 Stunden bei einer H2S-Konzentration von 100 µg/m³ entstehen. Korrodierte Leiterplatten wurden beispielsweise in der Nähe von Gummi-Produktionsanlagen, Abwasser / Abwasserbehandlungsanlagen, Fahrzeugabgasen (Ausgangs- / Eingangsrampen), Erdölraffinerien, Kohlekraftwerksgeneration, Papierfabriken, Deponien, Großfarmen und Sümpfen gefunden.
Blankes Kupfer wird in ähnlicher Weise von H2S angegriffen und läuft dabei an. Neben der Verschlechterung des Aussehens durch Schwärzung bewirkt auch hier die Bildung einer Kupfersulfid-Schicht auf der Oberfläche eine deutliche Verringerung der Leitfähigkeit, was vor allem bei Mikroelektronik zur Verringerung der Lebensdauer oder sogar zu katastrophalen Ausfällen führen kann. Diese Art der Korrosion tritt auch bei relativ niedrigen Luftfeuchten in Innenräumen auf.
Mit einer vom IKS neu entwickelten Auswertemethode basierend auf digitaler Bildverarbeitung können geringste Oberflächenveränderungen durch Korrosion oder andere Effekte erkannt und quantifiziert werden. Sie übertrifft dabei bisherige Verfahren an Empfindlichkeit und Reproduzierbarkeit oder erweitert zumindest das bekannte Spektrum um eine weitere empfindliche und sehr praktikable Variante.
Die meisten Messmethoden zur Quantifizierung der Silber- und Kupferkorrosion haben bei der Quantifizierung von geringen Oberflächenveränderungen eine hohe Fehleranfälligkeit (z. B. Masseänderung, elektrolytische Reduktion durch Fremdkontamination; Flächenabschätzung oder Wahrnehmung von schwachen Farbänderungen ohne entsprechende technische Hilfsmittel sind sehr subjektiv und ungenau). Wenige Flecken auf dem Metall und leichtes Anlaufen stellen jedoch oft schon einen inakzeptablen Korrosionsschaden dar.
Mit dem weiter zu entwickelten Verfahren soll genau ermittelt werden können, wie lange bestimmte Korrosionsschutzmittel die Korrosion von Silber u. a. NE-Metallen & -Legierungen unter Schadgaseinfluss verzögern können, d. h. ab wann und in welchem Ausmaß optische Veränderungen auftreten, und wie sie sich im Vergleich zu Konkurrenzprodukten positionieren. Das erscheint sowohl für Anwender bei der Auswahl der Korrosionsschutzmittel, als auch für deren Hersteller bei der Weiter- und Neuentwicklung von Nutzen zu sein.
Auch für die Überwachung von Kunstgütern kann diese Methode von hohem Wert sein. Diese Güter können meistens nur über die Atmosphäre, nicht über Korrosionsschutzmittel geschützt werden (Museen). Gerade im wirtschaftlich immer bedeutenderen asiatischen Raum ist mit höher verschmutzter Atmosphäre und vergleichsweise viel H2S in der Umgebungsluft zu rechnen, was zu vermehrter Korrosion von Teilen aus Ag, Cu oder Elektronik und somit schnell zu beträchtlichem finanziellen Schaden führen kann.
Alle bekannten Korrosionsschutzmethoden bieten keinen permanenten Schutz, sondern sind lediglich temporär: Schutzschichten tragen sich ab, H2S-Fänger und Inhibitoren werden mit der Zeit verbraucht, Folien werden durchdrungen. Deren Effektivität prüfen zu können war das Ziel dieses Projekts.

Vorteile und Lösungen

Die Zielstellung des Vorhabens wurde erfüllt. Es konnten geeignete Prüfaufbauten für die Untersuchung der Korrosionsschutzwirkung ermittelt werden. Ebenfalls wurde eine einfache Methode zur Erzeugung einer gewünschten Schwefelwasserstoffkonzentration innerhalb gewisser Grenzen gefunden und Empfehlungen angeben, bei welchen Konzentrationen geprüft werden sollte. Das zeitliche Anlaufverhalten von Silber und Kupfer mit und ohne temporären Korrosionsschutz verschiedenster Art wurde bei unterschiedlichen H2S-Konzentrationen mit Hilfe einer Bildverarbeitungssoftware über Histogramm-Vergleichsmethoden untersucht, dokumentiert und quantifiziert.
Ein neues Verfahren zur Quantifizierung des Anlaufens von Silber- und Kupferoberflächen wurde entwickelt und zusammen mit Bildaufnahmetechniken detailliert beschrieben. Die damit ermittelten Farbabstände von Ausgangs- und Endzustand angelaufener Silber- bzw. Kupferproben korrelieren mit dem analytisch bestimmten Schwefel-Gehalt der Oberfläche. Es kann mit polierten Standardprüfkörpern (kleinen Platten) getestet werden, aber auch flexibel mit Proben bzw. Teilen aus Ag- und Cu-Legierungen direkt vom Anwender (z. B. Silbermünzen). Das Auswerteverfahren könnte auch bei anderen Korrosionsschutzprüfungen eingesetzt werden, wo es zu flächigen Oberflächenveränderungen kommt.
Die durchgeführten Arbeiten waren für die Entwicklung eines bildverarbeitungstechnischen Bewertungssystems in Korrosionsschutztests mit Schwefelwasserstoff-Belastung und zur Erreichung des Ziels notwendig. Das im Rahmen des Projekts angeschaffte Material und die Gelder für die Messgeräte wurden über die gesamte Laufzeit planmäßig verwendet.
Mit den neuen H2S-Prüfverfahren, das vom IKS als Dienstleistung angeboten wird, können Anwender die Korrosionsschutzwirkung von Anlauf- bzw. Korrosionsschutzmitteln für Silber- und Kupferlegierungen unter solchem Schadgaseinfluss auf einfache Weise überprüfen und vergleichen. Fehleinschätzungen aufgrund subjektiver Bewertung werden dank digitaler Bildauswertung stark verringert. Dadurch können Fehlinvestitionen in ungeeignete oder überteuerte Schutzmittel vermieden sowie Verluste und Kosten durch Produktschäden und Reklamationen reduziert werden.
Für Hersteller von Anlaufschutzmitteln kann das neue Testverfahren bei der Weiter- und Neuentwicklung von Nutzen sein, die ebenfalls von einer neutralen Einrichtung wie z. B. dem IKS Dresden geprüft werden sollten, bevor sie zur Verwendung zugelassen und verkauft werden können. In künftige Werks- und Industrienormen könnte das neue Verfahren einfließen.
Anlaufschutz für Silber und Kupfer ist lt. Aussage von Herstellern und Anwendern dieser Werkstoffe immer ein Thema. Es ist wichtig, die Anlaufschutzwirkung von Korrosionsschutzsystemen vor Schwefelwasserstoff-Korrosion zu verifizieren, um Verlusten und Kosten durch derartige Produktschäden vorzubeugen. Daher wird ein neues Verfahren zum Test dieser bisher nicht prüfbaren Anlaufschutzmaßnahmen benötigt und ausdrücklich für gut befunden.
Bei einer Recherche wurden 24 Hersteller gefunden, die 55 verschiedene Produkte für den Silber- bzw. Kupfer-Anlaufschutz anbieten. Bei einer tiefergehenden Suche sind noch mehr Ergebnisse zu erwarten.
Der Anwender kann sich bisher nur auf Werbeversprechen des Vertreibers dieser Mittel verlassen bzw. eigene Feldversuche durchführen.
Aus Unkenntnis über die Effektivität und Existenz verschiedener Anlaufschutzsysteme werden mitunter anstelle von besseren Alternativen ungünstige Produkte ausgewählt, die mangelhaften Schutz liefern oder für die Weiterverarbeitung (Halbzeuge und Zwischenprodukte) problematisch sind. Z. B. könnten schwer wieder zu entfernende Anlaufschutz-Überzuge durch VCI- oder H2S-Fänger-Verpackungen ersetzt werden, die einfacher und schneller zu handhaben und damit kostengünstiger sind. Voraussetzung ist natürlich, dass sie eine ausreichende Schutzwirkung aufweisen.
Mitunter wird auch gar kein Anlaufschutz appliziert und in Kauf genommen, dass angelaufenes Metall wieder aufwendig poliert oder verworfen werden muss. Wenn möglich, wird eine Lagerung von kritischen Teilen und Halbzeugen aus Silber oder Kupfer umgangen, um dem Metall so keine Zeit zu geben, vor Auslieferung beim Kunden anzulaufen. Diese kurzfristige Produktionsbereitschaft erfordert jedoch einen erhöhten logistischen Aufwand und erzeugt längere Lieferzeiten, da nichts auf Vorrat produziert wird. Hier ist also ebenfalls Einsparpotential vorhanden. Endhersteller und Vertreiber haben dann trotzdem das Problem zu lösen, dass ihre Ware auf dem Weg bis zum und beim Kunden nicht anläuft.

Zielgruppe und Zielmarkt

Weil das IKS Dresden seit vielen Jahren eine wichtige Anlaufstelle für Korrosionsschutztests und Schadenfalluntersuchungen im temporären Korrosionsschutz ist, steht es im geschäftlichen Kontakt mit vielen Herstellern und Anwendern. Mit einem Dresdner Museum ergab sich während der Projektlaufzeit ein guter Informationsaustausch über in Museen verwendete Anlaufschutzmethoden für Ausstellungsstücke aus Silber, Messing oder Bronze. Bei diesen besteht oft Unklarheit bezüglich ihrer Effektivität. Die durchgeführten Tests von verschiedenen transparenten farblosen Überzügen wurden als sehr hilfreich und nützlich angesehen. Von einigen anderen Anwendern wurde das Interesse bereits bekundet. Über Veröffentlichungen, Vorträge und Kundengespräche soll das Verfahren am Markt bekannt gemacht werden.
Das bei diesem Forschungsprojekt erlangte Wissen wird außerdem für Beratungszwecke des IKS in der Industrie, für Vorträge und Lehrgänge verwendet werden können.
Außerdem werden die aus diesem Projekt erhaltenen neuen Informationen förderlich für die Untersuchung von Schadensfällen durch Korrosion in der Industrie sein.
Die Forschungsergebnisse werden z. B. auch wertvoll für andere Untersuchungen an Silber- und Kupferlegierungen für Münzen sein, die ebenfalls am IKS durchgeführt werden.
Der Test ist für Teile aus Silber und Kupfer gedacht, bei denen die blanke Oberfläche zu erkennen ist, nicht für elektronische Baugruppen, bei denen sich die gefährdeten Metalle dauerhaft unter intransparenten Schutzlackschichten befinden.
Geplante Vermarktung/Transfer des Verfahrens:
- Veröffentlichungen in einer Fachzeitschrift, auf einem IKS-Seminar zum temporären Korrosionsschutz
- Zuschneiden des Tests für spezifische Anwendungen auf Kundenwunsch hin, ggf. Veröffentlichung zu speziellen Testvarianten
Erwartete interne und externe wirtschaftliche Effekte:
Für einen Schnelltest sind etwa Testkosten pro Material von ca. 500 € angesetzt, die dann geschätzt pro Jahr 5x-15x beauftragt werden könnten. Für komplexere Langzeituntersuchungen sind 6.000-10.000 € ein typischer Preis, die aber weniger häufig angefordert werden, ca. 2x-5x pro Jahr. Pro Jahr ergeben sich daraus unter Berücksichtigung der derzeitigen Kapazität etwa 15.000-57.000 €. Der Umsatz könnte sich weiter erhöhen durch die Untersuchung von neuentwickelten Produkten. Zudem werden im Bereich der Industrieberatung weitere Einnahmen von bis zu ca. 5.000 € pro Jahr erwartet.
Die eigentlichen Einsparungen sind bei den Anwendern zu erwarten. Durch den Einsatz der Tests für die Entwicklung der Anlaufschutzmaßnahmen sind in der Industrie signifikante Kosteneinsparungen durch weniger Reklamationen, Teile- oder Funktionsverlust aufgrund mangelhaften Schutzes zu erwarten. Anwender können Fehlinvestitionen in ungeeignete oder überteuerte Schutzmittel vermeiden. Für Hersteller von Anlaufschutz können die neuen Testverfahren bei der Weiter- und Neuentwicklung von Nutzen sein. Es wird geschätzt, dass diese Einsparungen bei den Anwendern in den nächsten 5-10 Jahren im siebenstelligen Euro-Bereich liegen werden. Potentielle Nutzer der Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sind:
- Anlaufschutzhersteller
- Verpackungsmittelhersteller
- Vertreiber von Anlaufschutzmitteln, -Verpackungen
- Anwender von Anlaufschutz, z. B. Schmuckwarenhersteller und –händler, NE- und Edelmetallhalbzeug-Hersteller, Hersteller galvanischer Überzüge zur Oberflächenveredlung, Museen, Hersteller und Anwender von elektrischen Silberkontakten, Mikroelektronik, Münz- und Medaillenhersteller, Kunstgewerbe
Mehrere solcher Firmen haben bereits ihr Interesse an einem Prüf- bzw. Testverfahren für Anlaufschutz bekundet. Mit diesen Firmen werden wir Kontakt aufnehmen. Weitere Firmen sollen hinsichtlich ihres Bedarfs an einem Prüf- bzw. Testverfahren für Anlaufschutz befragt werden.
„Unter allen Metallen ist Silber der beste elektrische Leiter. Ein handelsüblicher Pkw enthält über 40 silberbeschichtete Schalter zum Einschalten des Motors, zur Aktivierung der Servolenkung, der Bremsen, der Spiegel, der Fensterheber, der Schlösser und anderer elektrischer Zubehörteile. Damit ist es für den Autobau insgesamt unverzichtbar.“
Bei ca. 3 Mio. neuzugelassenen Fahrzeugen im Jahr in Deutschland sind das ca. 120 Mio. silberbeschichtete Schalter, die benötigt werden. Wenn bei einem geschätzten Preis pro Schalter von 3 Euro durch besseren Anlaufschutz nur 1 % weniger Ausschuss entsteht, beträgt das Ersparnis 3,6 Mio. Euro pro Jahr für allein in Deutschland zugelassene Automobile. Mit zunehmender Anzahl von Elektrofahrzeugen werden noch mehr Silberkontakte in Autos verbaut werden.
Wenn Gold als Oberfläche bei Steckverbindern durch Silber ersetzt werden kann, wenn der Anlaufschutz ausreicht, könnte ebenfalls beträchtlich gespart werden, da Gold derzeit ca. 100x mehr kostet als Silber.