Ziel der Entwicklung
Die optimale Versorgung hörbeeinträchtigter Personen mit Hörsystemen stellt sowohl die Versorger wie Hörakustiker oder HNO-Kliniken, als auch die Versorgten vor immense Herausforderungen. Der komplexe individuelle Anpassungsprozess mit dem Ziel, ein ideales Hörsystem mit einer optimalen individuellen Einstellung zu finden, stellt eine besondere Schwierigkeit dar. Neben der audiometrischen Bestimmung der Hörschwelle dienen vor allem Sprachverständlichkeitstests und subjektive Klangbewertungen der optimalen Einstellung von Hörsystemen. Dabei stellt jedoch vor allem die subjektive Nutzenbewertung von Hörsystemen in akustisch anspruchsvollen Alltagssituationen ein besonderes Problem dar. Die Mehrzahl hörbeeinträchtigter Personen berichtet, dass sie in geräuschvoller Umgebung trotz ausreichender Sprachverständlichkeit eine hohe Anstrengung zur Kommunikation in geräuschvoller Umgebung aufbringen müssen und das Verstehen von Sprache als ermüdend und anstrengend empfunden wird. Dabei variiert die wahrgenommene Höranstrengung auch trotz eines Sprachverstehens von 100 Prozent. Zusätzlich müssen mehr kognitive Ressourcen aufgewendet werden, um in geräuschvoller Situation das gleiche Sprachverstehen wie in Ruhe zu erzielen. Somit hat neben der Sprachverständlichkeit die subjektiv wahrgenommene Höranstrengung einen großen Einfluss auf den Erfolg der Hörgeräteversorgung und auf die Nutzerzufriedenheit im Alltag. Obwohl die Relevanz von Höranstrengung auf die Hörsystemanpassung in diversen wissenschaftlichen Studien Relevanz wiederholt herausgestellt wurde, gibt es kein einfaches Messverfahren, das Hörakustiker oder Kliniker nutzen können, um die subjektiv wahrgenommene Höranstrengung adäquat im Alltag zu messen. Basierend auf den Erkenntnissen einer Höranstrengungsmessung kann für den Hörgeschädigten das optimale Hörsystem ausgewählt werden, welches nicht nur das Sprachverstehen verbessert, sondern auch bei vergleichbarer Sprachverständlichkeit die geringere Höranstrengung aufweist und somit die Versorgung mit dem besten Hörkomfort darstellt. Zusätzlich kann die Höranstrengungsmessung in der Erfassung des Therapieerfolges nach einer Cochlea Implantat Versorgung und der Auswahl des optimalen Prozessors eingesetzt werden. Das Ziel des Projektes ist es, das wissenschaftlich entwickelte Messverfahren zur Erfassung der subjektiven Höranstrengung in eine marktfähige Anwendung für Hörakustiker und Kliniken zu überführen, um verlässliche Erkenntnisse über den unterschiedlichen Grad der Höranstrengung alternativer Hörsysteme zu liefern und so die bestmögliche Versorgung sicherzustellen.
Vorteile und Lösungen
Das Höranstrengungsmessverfahren - ACALES, was für Adaptive Categorical listening effort scaling steht, ist ein neuartiges Verfahren zur individuellen Bewertung der Höranstrengung. Die adaptive Methode ermöglicht eine einfache und schnelle Durchführung bei vergleichsweise niedrigem Zeitaufwand. Während der Höranstrengungsmessung werden dem Nutzer Sätze in Kombination mit einem Störgeräusch bei unterschiedlichen Signal-Rausch-Abständen dargeboten. Die Signal Rausch Abstände sind positiv, wenn die Sprache lauter ist als das Hintergrundgeräusch oder negativ, wenn die Sprache leiser ist als das Hintergrundgeräusch. Der Nutzer bewertet jeweils die subjektiv empfundene Anstrengung beim Zuhören. Die Besonderheit des neuen Verfahrens ist, dass es adaptiv durchgeführt wird. Adaptiv heißt in diesem Zusammenhang, dass der Sprachdarbietungspegel basierend auf der vorherigen Bewertung neu berechnet wird. Daraus resultierend wird für jeden Nutzer individuell der dargebotene Pegelbereich bestimmt. Dies ist von Vorteil, da nicht jeder Nutzer dieselbe Wahrnehmung von Anstrengung hat und sich demnach die Bereiche, welche ein Nutzer zum Beispiel als extrem anstrengend bewertet, stark voneinander unterscheiden können. Der Pegel eines zusätzlich dargebotenen Störgeräuschs bleibt dabei konstant. Durch den adaptiven Verlauf wird eine hohe Genauigkeit bei verhältnismäßig geringem Zeitaufwand ermöglicht, weil nur wenige Signal-Rausch-Abstände berücksichtigt werden müssen. Ein weiterer Vorteil dieses Verfahrens ist die Realitätsnähe, da auch mit positiven Signal-Rausch-Abständen gemessen werden kann, was mit Sprachtestverfahren üblicherweise nicht möglich ist, da diese dort in die Sättigung kommen mit 100 Prozent Sprachverständlichkeit. In wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass auch bei 100 Prozent Sprachverstehen die wahrgenommene Höranstrengung mit steigendem Signal-Rausch-Abstand weiter abnimmt. Dies ist insbesondere für den Vergleich der sogenannten Komfort-Funktionen von Hörgeräten zum Beispiel Störgeräuschreduktion oder Mehrmikrofontechnik von Vorteil, da die bislang üblichen Sprachverständlichkeitsmessungen bei diesen Funktionen nur geringfügige Unterschiede detektieren können, in der subjektiven Wahrnehmung aber durchaus merkliche Unterschiede berichtet werden. Für den Einsatz von ACALES in der Hörakustik wird ein Windows-PC oder Tablet mit Soundkarte und zwei Lautsprechern benötigt. In der Hörkabine sitzt die Versuchsperson in Blickrichtung des Lautsprechers mit null Grad. Aus diesem Lautsprecher kommt das zu bewertende Sprachmaterial und das Störgeräusch aus einem zweiten Lautsprecher, der schräg hinter mit 135 Grad im Rücken der Versuchsperson steht. Nach der Testerläuterung und einer kurzen Trainingsphase, die der Eingewöhnung und dem Kennenlernen der Messprozedur dient, kann die Versuchsperson den Test selbständig ohne den Versuchsleiter durchführen. Die Messung gliedert sich in drei Phasen. In der ersten Phase werden so lange Testsätze in unterschiedlichen Signal-Rauschabständen, auch SNR genannt, präsentiert und durch die Versuchsperson bewertet, bis die SNR-Werte für die untere Grenze mühelos und für die obere Grenze extrem anstrengend ermittelt wurden. Die Eingabe der Bewertung erfolgt durch die Versuchsperson selbst über ein Tablet oder einen Touchscreen. Basierend auf diesen Werten werden in der zweiten Phase die SNR-Werte für die sieben beschrifteten Bewertungskategorien der 13-stufigen Bewertungsskala ermittelt und der Versuchsperson zur Bewertung randomisiert präsentiert. In der dritten Phase werden aus diesen Bewertungen die Grenzen und SNR-Werte für jede Bewertungskategorie neu berechnet und nochmals randomisiert zur erneuten Bewertung präsentiert.
Zielgruppe und Zielmarkt
Für die zu entwickelnde Software wird als regionaler Zielmarkt im ersten Schritt zunächst Deutschland betrachtet. Die Ausweitung auf internationale Märkte ist in weiteren Ausbaustufen nach erfolgreicher Markteinführung im Inland geplant. Innerhalb Deutschlands teilt sich der Zielmarkt in die Bereiche Hörakustik und Kliniken. Die Kernzielgruppe Hörakustik besteht in Deutschland aus etwa 6.400 Hörakustiker-Betrieben, die zirka 3,5 Millionen Menschen mit Hörsystemen versorgen. Jeder Hörakustikbetrieb ist in der Regel mit mehreren Messplätzen für die Hörgeräteanpassung ausgestattet. Zukünftig ist es sinnvoll auch den internationalen Markt zu berücksichtigen. Das deutsche Marktpotenzial erhöht sich bei Betrachtung des europäischen Marktes mit zirka 512,6 Millionen Einwohnern schätzungsweise um das Doppelte. Dazu tragen vor allem die europäischen Länder bei, in denen eine Kostenübernahme für höherwertigere Hörgeräte teilweise oder komplett durch die Versicherungen gewährleistet werden, wie zum Beispiel in Österreich, Schweiz, Frankreich, Niederlande und Dänemark. Die zweite Kernzielgruppe Kliniken besteht in Deutschland aus 39 Universitäts-HNO-Kliniken, zirka 130 weiteren Kliniken mit HNO-Hauptabteilung, geschätzten 50 Cochlea-Implantaten Zentren sowie 6300 niedergelassenen HNO-Ärzten. International sind vor allem Universitäts-HNO-Kliniken an Messverfahren mit CE-Kennzeichnung, gemäß der Verordnung der Europäischen Union für Forschungsprojekte, interessiert. Für Europa wir von einem Potential von etwa 50 Kliniken ausgegangen.