Ziel der Entwicklung
Gerät eine Person in Deutschland in gesundheitliche Not wird durch Auslösen eines Notrufes eine medizinische Erstversorgung zum Einsatzort entsandt. Meist können die Einsatzkräfte erst während der Anfahrt über Art und Schwere des Notfalls instruiert werden. Deshalb müssen Rettungskräfte über eine umfangreiche Ersthilfeausstattung verfügen, um optimal auf alle Notfalleinsätze reagieren zu können. Bei einem Großteil aller Einsätze ist jedoch dem Rettungswagen der direkte Zugang verwehrt, die notwendigen Utensilien müssen aus dem Rettungswagen zum Patienten gebracht werden. Dies wird üblicherweise mit Notfallrucksäcken realisiert, die hohen mechanischen Belastungen und Verschleiß unterliegen. Das betrifft im Besonderen auftretende Schleifbewegungen des Rucksacks über harte und stark strukturierte Oberflächen, wie sie beim Einsatz in rauen Umgebungen vorliegen. Eine perforierte Rucksackoberfläche hat dabei nicht nur einen negativen Einfluss auf die strukturelle Beständigkeit der Rucksäcke, sondern gewährleistet auch keinen hinreichenden Schutz vor eindringendem Schmutz. Zusätzlich wirkt auf die Notfallrucksäcke eine erhöhte chemische Belastung in Form von Desinfektionsmitteln ein, welche über große Zeiträume die Materialien beschädigt und die Gebrauchseigenschaften verändert. Der an den Notfallrucksäcken momentan auftretende Verschleiß ist auf die verwendeten Materialien zurückzuführen. Ein häufiges eingesetztes Material für diese Rucksäcke ist ein Gewebe aus CORDURA®. Bei CORDURA® handelt es sich um ein Polyamid Garn dessen Reißfestigkeit durch ein spezielles Verfahren gesteigert, danach mit Polyurethan beschichtet und anschließend zu einem Gewebe verarbeitet wird. Aus diesem Grundmaterial wird die Hülle des Notfallrucksacks erzeugt, welche aufgrund der Gewebestruktur sehr flexibel ist. Das Material weist jedoch nicht die nötige Verschleißresistenz auf und ist schwer zu reinigen. In der ondulierenden Struktur des Gewebes können sich kleinste Schmutzpartikel an den Kreuzungsstellen einlagern, welche sich nur sehr schwer entfernen lassen und ein Hygienerisiko darstellen. Ebenso wird durch diese Struktur eine gewisse Kapillarwirkung erzeugt, durch diese sich unerwünschte Fremdpartikel im Material einlagern. Bereits die Verwendung von Hartschalen als Außenmaterial würde den Verschleiß und den Reinigungsaufwand erheblich reduzieren. Die Norm DIN 13232 regelt, welche medizinischen Arbeitsmittel für die Erstversorgung vor Ort zur Verfügung stehen müssen. Dennoch hat jeder Rettungsdienst in Deutschland die Möglichkeit, zusätzlich zur Grundausstattung den Inhalt der Notfallausrüstung zu individualisieren. Daher muss für eine wirtschaftliche Produktion der Notfallrucksack modularisiert ausgestaltet werden. Bei marktüblichen Notfallrucksäcken wird dies über ein Taschensystem realisiert, welches mit Hilfe von Klettverschlüssen innerhalb des Notfallrucksacks befestigt wird. Klettverschlüsse stellen jedoch aufgrund der Schmutzaufnahme ein großes Hygienerisiko dar. Aufgrund der Erfahrungen in der Coronapandemie und der starken Abhängigkeit von China in Bezug auf Medizintechnik sollen Notfallutensilien vermehrt in Europa hergestellt werden. Zusätzlich werden dadurch Lieferwege stark verkürzt und große Mengen an CO2 eingespart. Das VeRuMed-Projekt soll es ermöglichen, Notfallrucksäcke innerhalb Deutschlands wirtschaftlich zu produzieren.
Vorteile und Lösungen
Zunächst wurden die sich aus dem Anforderungsprofil des Rucksackes ergebenden Parameter der Rucksackhalbschalen herausgearbeitet, klar definiert und in einem Lastenheft zusammengefasst. Aufgrund der recherchierten Patentsituation sind selbstverstärkte Kunststoffe (Verstärkungsfasern und Matrix aus gleichem Material) für die Anwendung ausgeschlossen. Auf diesen Ergebnissen basierend erfolgten umfangreiche konstruktive Arbeiten zur Auslegung und Dimensionierung der Rucksackhalbschalen und des für deren Herstellung mittels Thermoformverfahren benötigten Werkzeuges. Hierbei wurden berücksichtigt: (i) Notwendige Größe der Halbschalen für das benötigte Rucksackvolumen; (ii) Formschlüssige Verbindung der Halbschalen inkl. Versteifungsrahmen und Magnethaltebänder; (iii) Möglichkeit zur Anbringung der Krafteinleitungselemente; (iv) Ansprechendes Design. Begleitend wurden FEM-Berechnungen durchgeführt. Bei der Betrachtung der in Frage kommenden Kunststoffmaterialien fiel die Wahl auf eine Kombination von PMMA/ABS. Diese extrudierten Platten erfüllen alle Anforderungen hinsichtlich: (i) gute Umformbarkeit im Thermoformprozess; (ii) Chemikalien- und Kratzbeständigkeit; (iii) Möglichkeit zur Verklebung bei der Integration der Krafteinleitungselemente; (iv) UV-Beständigkeit. Zur Anbringung der peripheren Bauelemente wurden die optimalen Systeme zur Krafteinleitung herausgearbeitet. Hierbei wurden mit der bigHead®-Reihe geeignete Verbindungselemente gefunden. Weiterhin wurde die Krafteinleitung über diese Fixierelemente jedoch ganzheitlich mit der PMMA/ABS-Kunststoffmatrix betrachtet und es wurden umfassende FEM-Berechnungen durchgeführt. Hierbei zeigte sich bei der Betrachtung verschiedener Lastszenarien, dass ein Versteifungsrahmen für die Sicherstellung der Stabilität notwendig ist. Dieser wurde zusammen mit dem Magnethalteband in ein umlaufendes, formschlüssiges Abschlussprofil in die Konstruktionsvorlagen aufgenommen. Diese Kombination aus PMMA/ABS-Kunststoff, Versteifungsrahmen und den Fixierelementen erfüllt in allen Belastungsrichtungen die Anforderungen bei den relevanten Rucksacklasten. Für das Thermoformverfahren wurde hinsichtlich der ermittelten Rucksackdimensionierung ein Umformwerkzeug konstruiert und gefertigt. Dieses Werkzeug wurde in Betrieb genommen und nach einer ersten Versuchsreihe dahingehend optimiert, dass höhere Werkzeugtemperaturen realisiert werden können (erste Ergebnisse bei max. 105 °C Werkzeugtemperatur zeigten keine optimalen Umformergebnisse). Nach den erfolgreichen Umformversuchen wurden anschließend der Halbschalen-Herstellungsprozess ganzheitlich betrachtet und insbesondere die nachfolgende Integration der Fixierelemente untersucht. Dabei wurde herausgearbeitet, dass eine Stanzvorrichtung und das anschließende Einkleben der Gewindeverbindungen für eine breite Palette an anzubringenden Baugruppen von Anbauteilen geeignet sind. Ein geeignetes Stanzwerkzeug, welches in eine Kniehebelstanzvorrichtung eingebracht werden kann, konstruktiv entwickelt und umgesetzt. Durch die erfolgreich durchgeführten Entwicklungsarbeiten zur Auslegung, Material- und Verfahrensauswahl, die Versuche zum Thermoformverfahren und die nachträgliche Integration der Fixierelemente wurden alle Projektziele erreicht. Es ist ein Verfahren mit den dazu gehörigen Prozessschritten entwickelt worden, welches es erlaubt, anwendungsangepasste und kundenspezifische Notfallrucksäcke zu fertigen. Damit werden in diesem Segment komplett neue Maßstäbe gesetzt und es ist ein signifikanter Beitrag zur Medizintechnik und dem Gesundheitswesen geleistet worden. Das neuartige System erfüllt alle geltenden Hygieneauflagen und wird die Grundlage für zukünftige Weiterentwicklungen im Bereich von Notfallrucksäcken bilden.
Zielgruppe und Zielmarkt
Die Verwendung des entwickelten Rettungsrucksacks ist insbesondere im professionellen Einsatzbereich zu sehen. Entsprechend hoch sind die Ansprüche des Marktes an Modularisierung, Ausstattung, aber auch Stabilität, Verschleiß und, wie bei jedem Transportbehältnis, an den Tragekomfort. Letzterer wird maßgeblich durch das Gewicht des Behältnisses entscheidend beeinflusst. Bisherige Rucksäcke werden in aufwendigen Einzelschritten mit Hilfe der Nähtechnologie (nicht in Deutschland) hergestellt. Des Weiteren werden diese Rucksäcke speziell entsprechend der Wünsche des jeweiligen Einzelkunden designt und angepasst. Die Möglichkeit einer modularisierten sowie standardisierten Herstellung eines solchen Rettungsrucksacks über den Thermoformprozess wurde bisher nicht berücksichtigt. Daher wird die Zielgruppe für den neu entwickelten Rettungsrucksack vor allem in den Herstellern von Hochleistungsrucksäcken gesehen. Diese Rucksäcke werden vornehmlich in den nachfolgenden vier Branchen eingesetzt: Rettungswesen (z. B. Krankenwagen, Feuerwehr, Küstenwache, THW, Höhenrettung), Höhenarbeit (z. B. Industriekletterer), Sicherheitsbranche (z. B. Polizei, GSG9) und Militär (z. B. Sanitätsdienst der Bundeswehr). Alle vier Branchen unterliegen aufgrund der aktuellen politischen Situation und der globalen Umweltsituation einem starken Wachstum. Dadurch benötigen die Einsatzkräfte mehr und zuverlässige sowie verschleißfestere Einsatzwerkzeuge. Dazu gehört auch ein verschleißfester leicht verfügbarer Rettungsrucksack. Ein Zielmarkt für den entwickelten verschleißfesten Notfallrucksack ist Deutschland. Der Mindestbedarf für Notfallrucksäcke in Deutschland lässt sich anhand der aktuellen Statistik für Rettungsfahrzeuge ableiten. Zum 01.01.2022 existierten in Deutschland insgesamt in etwa 22.300 Rettungsfahrzeuge (Rettungswagen und Notarztfahrzeuge) (Quelle: Statista.de). Dabei ist anzumerken, dass jedes Rettungsfahrzeug in Deutschland mit mindestens einem Rettungsrucksack ausgestattet sein muss. In der Regel werden sogar zwei Rettungsrucksäcke pro Fahrzeug benötigt. Dabei werden ein Rettungsrucksack mit Medizintechnik zur Versorgung des Kreislaufsystems und ein Rettungsrucksack mit Medizintechnik zur Versorgung des Atemsystems ausgestattet. Des Weiteren muss alle 5 Jahre ein Rettungsrucksack aufgrund von Abnutzungserscheinungen in Deutschland ersetzt werden. Damit ergibt sich bei konservativer Rechnung mit einem Rettungsrucksack pro Rettungsfahrzeug eine jährliche Nachfrage von 4.460 Rettungsrucksäcken. Der Verkaufspreis der Rettungsrucksäcke liegt im Mittel zwischen 200,00 € bis 300,00 € je nach Ausstattung. Damit ergibt sich für Deutschland ein jährliches Marktvolumen von mindestens 1.115.000,00 €. Dabei ist anzumerken, dass bei diesem Marktvolumen noch keine Rettungsrucksäcke in Feuerwehren und Sonderfahrzeugen (Boote, Hubschrauber etc.) berücksichtigt wurden. Weiterhin wird neben dem deutschen Absatzmarkt auch der Absatz im europäischen Binnenmarkt angestrebt. Zukünftig wird zudem der Absatz des neuen Rettungsrucksacks im globalen Markt, wie zum Beispiel USA, China, Japan oder Australien anvisiert. Damit der Transfer des neuartigen verschleißfesten Rettungsrucksacks in die Wirtschaft gewährleistet wird, sind die drei nachfolgenden Maßnahmen angedacht: Kundenspezifische Konzeptionierung des Thermoformprozesses durch die Cetex Institut gGmbH, Versuche mit dem bestehenden Thermoformprozesses des Cetex Instituts gGmbH am bereitgestellten Kundenmaterial und Herstellung von Demonstratoren von verschleißfesten Rettungsrucksäcken zur Veranschaulichung und erste Tests für den Kunden. Diese Maßnahmen sollen die Etablierung des Rettungsrucksacks und den Transfer in Anwendungsunternehmen nicht nur ermöglichen, sondern auch beschleunigen. Die wirtschaftlichen Effekte für die Cetex Instituts gGmbH können in zwei Kategorien aufgeteilt werden. Die erste Kategorie ist der Vertrieb von Herstellungslizenzen für den neuen verschleißfesten Rettungsrucksack. Die zweite Kategorie ist die Durchführung von FuE-Aufträgen in Zusammenarbeit mit Kunden. Dadurch wird der im Rahmen dieses Forschungsprojektes entwickelte Thermoformprozess des Rettungsrucksacks auf neue Materialkombinationen erweitert und die Verfahrenstechnik entsprechend der Materialien angepasst. Es ergeben sich dabei neue Forschungs- und Entwicklungsansätze zur Erweiterung der Verfahrenstechnik. Des Weiteren werden mit jedem neuen Kunden auch neue Anwendungsbereiche sowohl für die Verfahrenstechnik als auch für den neuen verschleißfesten Rettungsrucksack gefunden.