Ziel der Entwicklung

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RGB-Messkopf für die Oberflächeninspektion von Flachglas

Innovent entwickelte ein Messverfahren, mit dessen Hilfe es möglich ist, Modifikationen von Flachglasoberflächen hochsensitiv in einer Fläche von max. 500mm x 500mm zu erfassen, sichtbar zu machen und zu analysieren. Ein Spezialfall der Ellipsometrie – die Brewsterwinkel-Reflektometrie – wurde dazu optimiert und als scannendes Verfahren umgesetzt. Es konnte nachgewiesen werden, dass mit diesem Messverfahren sowohl Gelschichtveränderungen der Glasoberfläche durch Glaskorrosion, Saugerabdrücke oder Wolken als auch Verunreinigungen, Reinigungsmittelrückstände und nanometerdünne Oberflächenfilme sensitiv erfasst und sichtbar gemacht werden können. Dabei wird die Glasoberfläche mit einer Laserlinie von ca. 10mm Länge mäanderförmig abgefahren. Durch den Einsatz zweier Messkameras ist die Verfahrgeschwindigkeit auf 6mm/s begrenzt. Somit benötigt das System für die Messung einer 500mm x 500mm Glasscheibe eine Messzeit von mindestens 1 Stunde und 10 Minuten. Das ist für eine Laboranwendung eine tolerierbare Dauer, zumal es keine vergleichbaren Messsysteme für solche Messbereiche gibt, jedoch für eine Qualitätskontrolle in der Produktion nicht anwendbar.
Das Ziel dieses Projektes ist, ein Messgerät zu entwickeln, das auf dem Verfahren der scannenden Brewsterwinkel-Reflektometrie beruht, jedoch deutlich reduzierte Messzeiten benötigt. Das Verfahren soll soweit optimiert werden, dass es sich für einen Einsatz in einer konventionellen Waschmaschine zur Inline-Gütekontrolle des Waschresultats als auch des Glasoberflächenzustands eignet.
Mit diesen technischen Parametern ist ein standardmäßiger Einsatz des Messverfahrens zur Beschichtungsfähigkeitskontrolle von Flachglas möglich. Moderne Wärme- und Sonnenschutzverglasungen erfordern eine Funktionalisierung der Oberflächen mit niedrig emittierenden, selektiven silberhaltigen Low E- Schichten unabdingbar. Dies führt dazu, dass jede Isolierverglasung heute zur Hälfte oder mehr (Dreifachglas) beschichtetes Glas enthält. Die Low E- Produktionskapazitäten in Europa liegen im Bereich von mehr als 100 Mio. m²/a, wobei ein zunehmender Anteil davon als vorspannfähige Beschichtung mit deutlich erhöhten Qualitätsanforderungen ausgeführt werden muss. Eine Messvorrichtung, die die Beschichtungsfähigkeit vor dem Veredlungsprozess kontrolliert, führt zu einer erheblich geringeren Ausschussquote, zur nachhaltigen Verwendung der Flachglasscheiben (nicht beschichtungsfähige Gläser können für andere Produkte genutzt werden oder der Glasschmelze wieder zugeführt werden) und zu einem Ressourcen schonenden Einsatz der wertvollen Beschichtungsmaterialien.
Weiterhin soll die Anwendung des Messverfahrens auf beschichtete Glasscheiben erweitert werden. Besonders Homogenitätsschwankungen der Glasoberfläche werden sensitiv erfasst. Somit können Reinigungszustände von beschichteten Gläsern beurteilt werden, was z. B. für die Steuerung von Fensterputzrobotern eine wesentliche Verbesserung darstellt. Mit der Integration des Messverfahrens in solche Reinigungsroboter erschließt sich ein Massenmarkt. Auch die Analyse von Funktionsschichten wie z.B. wasserabweisende Schichten oder antibakterielle Schichten hinsichtlich ihrer Homogenitätsverteilung auf den Glasoberflächen oder prinzipiell ihres Nachweises sind weitere angestrebte Anwendungsfelder.
Mit Hilfe eines beschleunigten, optimierten Brewsterwinkel-Reflektometers ergeben sich eine Vielzahl von Einsatzmöglichkeiten. Das Verfahren bietet sowohl hohes Potenzial für die Effektivierung und Nachhaltigkeitssteigerung von Flachglas-Veredlungsprozessen als Inline-Qualitätskontrolle sowie als mobiles Messgerät für den Nachweis von Funktionalisierungsschichten oder zur Reinigungskontrolle.

Vorteile und Lösungen

Es entstand ein Verfahren und eine Messvorrichtung, die es erlaubt, mit hoher Empfindlichkeit sowohl beschichtete als auch unbeschichtete Glasoberflächen hinsichtlich ihrer Homogenität zu analysieren. Mit dem Verfahren der partiell integralen Brewsterwinkel-Reflektometrie können Scangeschwindigkeiten von >1m/s bei einer lateralen Auflösung von >=0.5mm erreicht werden. Dabei wird die Kamera durch eine PSD bzw. ein PSD-Array ersetzt. Bei typischen Auslesefrequenzen von <=400 kHz für die PSD-Elektronik ist die Messgeschwindigkeit des Verfahrens hauptsächlich durch die Grenzen der mechanischen Bewegung limitiert. Dabei ist besonders auf eine schwingungsarme Scanbewegung zu achten. Für die linienförmige Beleuchtung der Oberfläche ist senkrecht zur Einfallsebene eine quasi telezentrische Lichtbündelführung notwendig, um eine ausreichende Beleuchtungsstärke auf der Detektoroberfläche zu garantieren. Beim Einsatz handelsüblicher Lasermodule wird die Linienlänge auf ca. 10mm begrenzt. Um die angestrebte Linienlänge von 100mm zu erreichen, müssten mehrere Sensoren in Reihe angeordnet werden. Da die verwendeten Komponenten jedoch kostengünstig sind und eine serielle Anordnung technisch realisierbar ist, erscheint eine solche Erweiterung zu großflächigen Scansystemen praktisch und wirtschaftlich umsetzbar.
Ein kamerabasiertes Mustergerät mit hoher numerischer Apertur entstand, dass anhand von Reflexionsgradkurven im Brewsterwinkelbereich auch die Schichtparameter Schichtdicke und Brechungsindex der Schicht scannend ermitteln kann. Bei einer lateralen Auflösung von 1mm x 1mm können mit dem Mustergerät Abtastgeschwindigkeiten von 120mm/s erzielt werden. Somit sind auch im Laboreinsatz schnelle Messungen von großflächigen Glasscheiben realisierbar. Die Messgenauigkeit des Geräts liegt bei der Schichtdickenmessung unter 5nm. Durch den Einsatz einer Spaltblende mit kleiner Spaltbreite kann das Messverfahren auch unter Tageslichtbedingungen eingesetzt werden. Zudem lassen sich bei RGB-Beleuchtung RGB-Reflexionsgradverteilungen mit einem Kamerabild separieren (Alvium G1 240c).
Zur Bewertung der Messdaten wurde ein Simulationsmodell geschaffen, das die Einbindung von Parametern wie Porosität und Rauheit ermöglicht. Basierend auf dem Beugungsmodell RCWA (rigoros coupled wave analysis) kann das Reflexions- und Transmissionsverhalten beliebiger Materialkombinationen von Schicht, Substrat oder Schichtstapel berechnet werden. Es wurde ein Algorithmus eingeführt und getestet, der zusätzlich die Rauheit bzw. Porosität als Störfunktion in die Berechnung einbinden kann.
Das Verfahren wurde an einer großen Anzahl von Applikationsbeispielen getestet. So wurde das Pyrosilbeschichtungsverfahren auf Glas analysiert, das Glaskorrosionsverhalten sowie die Reinigung von Gläsern mit Plasmaverfahren. Unterschiedliche Abrasionstests an beschichteten Gläsern konnten durchgeführt werden und Homogenitätsanalysen an gesputterten Schichten. Zudem konnte das Verfahren eingesetzt werden zur Schichtdickenmessung von epitaktisch gewachsenen YIG-Schichten auf GGG-Substrat.
Aufgrund der breiten Einsatzmöglichkeiten, der hohen Messgeschwindigkeit sowie der hohen Empfindlichkeit bezogen auf Änderungen der Oberflächenbeschaffenheit von beschichteten und unbeschichteten Glasoberflächen legen die Projektergebnisse die Grundlage für ein Messgerät, das durch die oben genannten Alleinstellungsmerkmale eine erfolgreiche Vermarktung als Serienprodukt verspricht.

Zielgruppe und Zielmarkt

Anwender des zu entwickelnden Inspektionssystems sind Hersteller von Flachglas und Flachglasveredler. Schwerpunkt ist dabei die Vakuum-Glasbeschichtung und die Displayherstellung, aber auch andere oberflächensensitive Prozesse wie die ESG/TVG- Herstellung für Innenverglasungen und sonstige Sicherheitsglasanwendungen, die Verbundglasfertigung, Automobilverglasungen, das Ätzen von Glas, die Spiegel- oder Isolierglasherstellung.
Um auch international ein breiteres Publikum anzusprechen wurde die Messtechnik auf der Glasstec 2024 in Düsseldorf erfolgreich vorgestellt. Zusätzlich soll die Technologie auf verschiedenen Tagungen (ICCG, Glass Performance Days) veröffentlicht sowie interessierten Kunden angeboten und auf deren individuelle Bedürfnisse angepasst werden.
Ein erster Prototyp des Messsystems entstand bei der Matesy GmbH: der Matesy Surfyzer. Dieser befindet sich in der Markteinführung.