Ziel der Entwicklung
Bei der Zerspanungstechnik stellt das Werkzeug die Schnittstelle zum Produkt dar und bildet meist das letzte und entscheidende Glied in der Prozesskette der Fertigung. Dabei spielt die Präzisionsbearbeitung eine immer größere Rolle, da die klassischen Verfahren zur Feinbearbeitung mittels geometrisch unbestimmter Schneide (z.B. Schleifen oder Honen) immer öfter durch Verfahren mit geometrisch bestimmter Schneide ersetzt werden. Dabei müssen weiterhin die hohen Qualitätsanforderungen an die Bauteile bezüglich Maßhaltigkeit, Form- und Lagetoleranzen und Oberflächengüte eingehalten werden. Um die Feinbearbeitung mit geometrisch bestimmter Schneide fertigungstechnisch prozesssicher und beherrschbar zu gestalten, sind neuartige innovative Präzisionswerkzeuge notwendig.
Es besteht also mit Blick auf die Präzisionszerspanung ein zunehmender Bedarf an Präzisionswerkzeugen, um den Zerspanungsprozess quantitativ als auch qualitativ zu verbessern. Der Bedarf, Bohrungen in hoher Qualität und in engen Toleranzen zu fertigen, nimmt in vielen Bereichen, wie z.B. Automobilindustrie, Maschinenbau, Luft- und Raumfahrt, Energieerzeugung, Medizintechnik, beträchtlich zu. Typische Werkstücke, in die viele Bohrungen unterschiedlicher Größen eingebracht werden müssen, sind beispielsweise Motorblöcke, Getriebegehäuse oder Spindelköpfe. Passgenaue Bohrungen mit einer hohen Oberflächengüte lassen sich nicht immer auf den Bearbeitungszentren herstellen, weshalb häufig für das Ausspindeln und Reiben der Bohrungen auf eine Drehmaschine gewechselt werden muss. Das ist allerdings zeit- und daher kostenintensiv. Deshalb werden Werkzeuge benötigt, die flexibel sind und gleichzeitig den Qualitätsanforderungen genügen.
Die Nachfrage nach einstellbaren Feinbohrwerkzeugen mit digitaler Anzeige für den Einstellweg steigt ebenfalls stetig. Durch die mikrometergenauen Anzeigen wird das Handling der Werkzeuge deutlich verbessert, sodass Einstellfehler verringert werden und die Zeit zum Einstellen der Werkzeuge deutlich reduziert wird. Der Bedarf an einfach zu handhabenden Werkzeugen wächst nicht zuletzt auch durch den immer größer werdenden Fachkräftemangel, der gerade in den Industriezweigen des metallverarbeitenden Gewerbes zunehmend zum Problem wird. Deshalb und auf Grund der gestiegenen Anforderungen der Industrie ist der Bedarf und somit die Motivation zur Neu- und Weiterentwicklung von „intelligenten“ Werkzeugen und Werkzeugsystemen besonders gegeben.
Die Anzeige des Einstellwegs bei einstellbaren Feinbohrwerkzeugen setzt entsprechende digitale Längenmesstechnik voraus, die in die Werkzeuge integriert sein muss. Die Vorteile dieser Werkzeuge (reduzierte Einstellzeit und Vermeidung von Einstellfehlern durch einfacheres Handling) werden schon heute mit am Markt vorhandenen Produkten genutzt. Allerdings ist hier noch erhebliches Potential bezüglich der Kosten und der Genauigkeit solcher Feinbohrwerkzeuge mit integrierter digitaler Messtechnik vorhanden, welches die Werkzeuganwender ausschöpfen wollen.
Die erforderlichen Genauigkeiten können durch entsprechende Maßnahmen auch mit kostengünstigen robusten Wegmesssystemen erreicht werden. Solche Maßnahmen sind z.B. der Einsatz von absolut messenden Messsystemen und die digitale Messdatenaufbereitung mit leistungsstarken Mikroprozessoren. Damit sind zudem wesentliche Verbesserungen der Genauigkeit der Messsysteme möglich. Dies wiederum setzt einen entsprechend fein justierbaren, spielfreien Präzisionsmechanismus zum Einstellen des Feinbohrwerkzeugs voraus, der eine exakte Einstellung des Werkzeugs ermöglicht. Mit einer solchen präzisen, spielfreien Mechanik in Kombination mit einem kostengünstigen absoluten Messsystem und einer entsprechenden Messdatenaufbereitung zur genauen Erfassung des Einstellwegs werden die Einstellbarkeit des Feinbohrwerkzeugs im Submikrometer-Bereich und somit hochpräzise Bohrungen mit Toleranzen im Bereich IT5 prozesssicher möglich.
Vorteile und Lösungen
Zur Umsetzung des Projektziels waren die folgenden Teillösungen im Bereich der Entwicklung bzw. Konstruktion zu erarbeiten:
1) Werkzeuggrundkörper
2) Präzisionsmechanik zum Verstellen der Werkzeugschneide
3) Sensorik zum Messen der Position der Schneide beim Einstellen
4) Elektronik zur Anbindung der Sensorik und zur Datenaufbereitung
1) Werkzeuggrundkörper
Für das neuartige Präzisions-Feinbohrwerkzeug bildet die Konstruktion des Werkzeuggrundkörpers die Basis. Dabei waren verschiedene Festlegungen zur Größe des Grundkörpers und zur Schnittstelle zur Spindel zu treffen. Die Abmessungen des Grundkörpers mussten ausreichend groß dimensioniert werden, um genügend Bauraum für die Präzisionsmechanik, die Sensorik und die Elektronikkomponenten zur Verfügung zu haben, wobei gleichzeitig die Stabilität und Steifigkeit des Werkzeugs den hohen Genauigkeitsforderungen entsprechend hoch sein musste. Der Werkzeuggrundkörper musste für diese Anforderungen ausgelegt und konstruiert werden.
2) Präzisionsmechanik zum Verstellen der Werkzeugschneide
Es war eine Präzisionsmechanik zu entwickeln, die ein Einstellen der Werkzeugschneide mit einer hohen Auflösung ermöglicht. Für die Dimensionierung und Berechnung stand die entsprechende Software für CAD und FEM zur Verfügung. Zur feinfühligen Verstellung eines Schieberkörpers wurde eine Kombination von Gewinden mit kleinen Steigungen verwendet. Über die Gewinde kann eine rotierende Bewegung in die benötigte lineare Bewegung zum Verschieben eines Schieberkörpers gegenüber dem Grundkörper umgesetzt werden. Durch eine Kombination von mehreren Gewinden konnte die Übersetzung der Mechanik so ausgelegt werden, dass eine große Drehbewegung in eine relativ kleine lineare Bewegung übertragen wird. Mit dieser Mechanik wird ein feinfühliges Verstellen der Schneide mit einer hohen Auflösung ermöglicht, was Grundvoraussetzung für ein präzises Einstellen des Werkzeugs ist.
Durch diese feinfühlige Einstellung und eine geeignete Mechanik, mit Kugel-Feder-Systemen, die in eine Rasterung einklicken, wurde eine Klick-Funktion entwickelt, mit der das Werkzeug in Stufen von 1 Mikrometer im Durchmesser fühlbar eingestellt werden kann. Diese Funktionalität wurde in einem separaten Werkzeug umgesetzt.
3) Sensorik zum Messen der Position der Schneide beim Einstellen
Bei der Sensorik zum Messen der Positionsveränderung der Schneide beim Einstellen wurde auf eine robuste, kostengünstige und genaue Sensorik zurückgegriffen. Es wurden magnetoresistive Sensoren eingesetzt, welche mit entsprechenden magnetischen Maßverkörperungen arbeiten. Die Genauigkeit der Sensorik hängt stark von der Bauart des Sensors und von der Polbreite und Genauigkeit des dazugehörigen Maßstabs ab. Magnetoresistive Sensoren, die für die Umsetzung dieses Forschungsvorhabens geeignet waren, gab es nur als relativ messende Sensoren. Um ein absolutes Messsystem aufzubauen, benötigte man eine geeignete Kombination aus Maßstäben und Sensoren. Für das verwendete Noniusverfahren werden zwei Magnetmaßstäbe benötigt, die auf der Messlänge mit unterschiedlich vielen Polen magnetisiert sind. Über die Differenz in der Polteilung, die sich aus den unterschiedlich magnetisierten Maßstäben ergibt, kann die absolute Position bestimmt werden. Damit wird die Absolutposition über die gesamte Länge der Maßstäbe eindeutig zugeordnet, sodass direkt nach dem Einschalten des Messsystems, ohne eine Bewegung des Maßstabs zum Sensor, die absolute Position berechenbar ist (True power on).
4) Elektronik zur Anbindung der Sensorik und zur Datenaufbereitung
Zur Anbindung der Sensorik und zur Datenaufbereitung war Elektronik in das neue Werkzeug zu integrieren. Zunächst musste die Analog-Digital-Wandlung der Sensorsignale in einer ausreichend hohen Auflösung erfolgen. Die Auflösung des Messsystems wird letztlich durch den AD-Wandler bestimmt. Zur Verrechnung der Rohdaten wurde eine entsprechende Einheit mit in die Elektronik integriert. Hier erfolgen neben Verrechnungsalgorithmen der Rohdaten auch Operationen zur Datenaufbereitung und für eine Datenübertragung zu einer digitalen Anzeige. Es war eine Anzeige mit vorzusehen, an der der Einstellweg der Schneide abgelesen werden kann. Um die Genauigkeit des Messsystems, im Vergleich zu den aktuell verfügbaren Systemen zu verbessern, waren geeignete Algorithmen zur Datenverarbeitung im Mikrocontroller umzusetzen.
Für die Datenübertragung zwischen Werkzeug und Anzeige wurde auf Bluetooth zurückgegriffen. Diese Technologie zur drahtlosen Datenübertragung kommt zunehmend im industriellen Umfeld zum Einsatz. Die relativ kleinen Antennen ermöglichen eine gute Integration in das Werkzeug. Die Entwicklung der Elektronik zur Anbindung der Sensorik wurde so gestaltet, dass der Energiebedarf der Elektronik und Sensorik so niedrig wie möglich gehalten wird, um die Batterielebensdauer zu erhöhen.
Zielgruppe und Zielmarkt
Der Produktionswert von Präzisionswerkzeugen in Deutschland stieg in den letzten Jahren deutlich an. Auch zukünftig werden Präzisionswerkzeuge vor allem im Bereich der Medizintechnik, dem Maschinenbau und der Luftfahrt für einen weiter steigenden Bedarf an Zerspanungswerkzeugen sorgen.
Der Schwerpunkt der Arbeit in der GFE liegt in der Bereitstellung des Know-hows (Elektronik, Software, Entwicklungsleistung) und der Spezifizierung in der anwendungsbezogenen Auslegung entsprechender Werkzeuglösungen für Kunden und Anwender. Mit diesen Möglichkeiten (Dienstleistungen in Konstruktion, Elektronikentwicklung, Softwareprogrammierung, Initiierung weiterer Forschungs- und Entwicklungsprojekte) bestehen entsprechende Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Verwertung der Projektergebnisse.
Durch das präzise, prozesssichere und schnelle Einstellen von Werkzeuge sowie durch die Vermeidung von Einstellfehlern durch die bessere Handhabung und Bedienbarkeit der Aufgrund der präziseren Einstellmöglichkeit ergibt sich für den Anwender des Werkzeugs eine bessere Genauigkeit der Produkte und damit eine höhere Qualität der Produkte, mit der sich ein Wettbewerbsvorteil ergibt, der sich in Absatzzahlen und/oder Verkaufspreisen auswirken kann. Eine gesteigerte Qualität kann sich je nach Produkt und Einsatzzweck für den Endanwender in Zeiteinsparungen oder auch ressourcenschonend auswirken. Dadurch, dass die Werkzeuge schneller eingestellt werden können, verringern sich die Rüstzeiten der Maschinen. Somit ergeben sich Zeit- und Kosteneinsparungen für den Werkzeuganwender. Durch die verbesserte Bedienung der Werkzeugeinstellung wird der Maschinenbediener in seiner Arbeit mit dem Präzisions-Feinbohrwerkzeug unterstützt. Damit verbessern sich die Arbeitsbedingungen für den Werkzeuganwender, die sich z.B. positiv auf eventuelle Ausfallzeiten der Bediener auswirken können. Die Unternehmen erhalten außerdem die Möglichkeit ein Werkzeug speziell auf ihren Anwendungsfall optimieren zu lassen, wodurch die Rüstzeiten und damit die Umsatzsteigerungen in diesen Fällen ebenfalls erhöht werden können. Zudem kann beim Einsatz eines solchen Werkzeugs auch mit einer Erhöhung der Bohrungsqualität und damit mit einer Qualitätssteigerung des Endproduktes gerechnet werden. Diese qualitative Verbesserung verschafft dem Werkzeuganwender einen weiteren Vorteil gegenüber der Konkurrenz, da dies ein Verkaufsargument ist, welches sich wiederum in einer Umsatzsteigerung bemerkbar machen kann.
Mit den entwickelten Werkzeugen soll die Basis für weitere Entwicklungen in der Applikation von Sensorik in Werkzeugen zur Zerspanung gelegt werden. Ein erfolgreicher Transfer der Ergebnisse wird durch Präsentationen der Entwicklungsergebnisse auf Messen, Workshops und durch Veröffentlichungen betrieben.
Da die GFE Schmalkalden e.V. eine wirtschaftsnahe und gemeinnützige Forschungsvereinigung ist, ergeben sich auch die Notwendigkeiten, die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse als eigene Bereicherung des wissenschaftlich-technischen Knowhows zu nutzen und die Ergebnisse in geeigneter Weise interessierten Unternehmen zur Verfügung zu stellen.