Ziel der Entwicklung
Die Leistungsfähigkeit moderner Produktionsprozesse beruht neben hochdynamischer Maschinentechnik auch auf der Belastbarkeit der eingesetzten Werkzeuge, beziehungsweise deren Werkzeugspannaufnahmen. Mit dem Fertigungsverfahren Wälzschälen, als eine Kombination des Wälzfräsen und des Wälzstoßen, können Bauteile in höchster Qualität in bis zu einem Sechstel der bisher dafür benötigten Zeit gefertigt werden. Im direkten Vergleich kann die Bearbeitungszeit zum Wälzfräsen um 20 Prozent, zum Wälzstoßen sogar um 90 Prozent reduziert werden. Mit Bezug auf industrielle Anwendungsfälle zur Herstellung tiefer Innenverzahnungen besteht allerdings das Problem, dass aufgrund ungünstiger L:D Verhältnisse (1:5 und größer) oft Instabilitäten im gesamten Produktionsprozess auftreten.
Derzeit wird die Leistungsfähigkeit des Wälzschälens nicht mehr vorrangig durch die Maschinentechnik, sondern vielmehr durch die Werkzeuge und deren Aufnahmen begrenzt. Modular aufgebaute Aufnahmen und ein prozessbedingt notwendiger Achskreuzwinkel begünstigen zusätzlich Leistungseinschränkungen. Untersuchungs- und Entwicklungsgegenstand in diesem Projekt waren somit lang auskragende, rotierende Werkzeugaufnahmen für den Einsatzfall Wälzschälen.
Ziel war es eine neue Werkzeugaufnahme für das Wälzschälverfahren zu konzipieren, als Prototyp herzustellen und in Zerspanungsversuchen an realen Funktionsbauteilen zu testen. Die Anforderungen an die Werkzeugaufnahmen waren die Erhöhung der Steifigkeit/ Festigkeit bei gleichzeitiger Geometrieoptimierung und Schwingungsdämpfung. In dessen Folge sollten letztendlich die Leistungsgrenzen der Aufnahme als auch des gesamten Produktionsprozesses ansteigen. Insbesondere sollten im kritischen Bereich der Einschnürung ein maximal mögliches Biegemoment (maximale Biegewechselfestigkeit) erreicht werden. Als Lösungsvarianten war hierzu die partielle Einbindung entsprechend hochfester Werkstoffe aber auch von Hartmetall vorgesehen, da bereits über den HM-Elastizitätsmodul eine Stabilitätssteigerung um den Faktor 2,5 erreicht werden kann. Ein weiterer Fokus wurde auf die Auslegung der Geometrie gelegt, so sollten im Inneren durch geometrische Elemente wie Rippen, Streben beziehungsweise Versteifungen realisiert werden, die bei den großen Auskraglängen trotz Materialeinsparung, ein maximales Maß an Stabilität liefern.
Vorteile und Lösungen
Auf Basis umfassender Belastungsversuche mit stabartigen Probekörpern wurden im Vorfeld der konstruktiven Entwicklungsarbeiten werkstoffabhängige und geometriespezifische Verbindungsmöglichkeiten durch Schweißen (Diffusionsschweißen und Laserschmelzen) sowie kombinierte formschlüssige Verbindungen mit einem Materialmix aus Einsatz- und Vergütungsstahl, martensitaushärtenden Stahl und Feinkornhartmetall (HM) analysiert.
Im Ergebnis zeigten die Stahl-/ HM- Diffusionsschweißverbindungen sowie die Schweißverbindungen mit eingepresstem HM-Kern relativ feste Verschweißungen, allerdings mit einer prozessunsicheren Streubreite. Die SLM-Stahl-HM Varianten zeigten minimale, die SLM-Stahl-Martensitaushärtenden Stahl Varianten maximale Stabilitäten bei gleichzeitig bester Prozesssicherheit.
Aktuell stehen zwei Prototypen mit einem L:D Verhältnis von 1:6 zur Verfügung. Eine Werkzeugaufnahme wurde in Hybridbauweise hergestellt. Der SLM-Aufbau (Werkstoff: 1.2709) erfolgte in Form einer Fachwerkkonstruktion mit entsprechenden Rippen auf einem HSK-63-A Grundkörper (Werkstoff: 1.7147) und verfügt über einen axial durchgehenden Kühlkanal. Außerdem wurden 12 radiale Gewindebohrungen im Bereich der minimalsten Werkstoff-Spannung berücksichtigt. Diese bieten die Möglichkeit zum definierten Einbringen von separatem Werkstoff (“Dämpfungsmasse“) in die 12 internen Hohlräume beziehungsweise zum wahlweisen Entfernen dieser Werkstoffe. Der hybride Aufbau wurde hinsichtlich der Funktionsflächen spanend nachbearbeitet und gewuchtet. Die modifizierte Messerkopf- Schnittstelle ist auf einen Durchmesser von D= 22 mm ausgelegt. Mit diesem Prototyp wurden Zerspanungsuntersuchungen bei einem Werkzeuganwender durchgeführt. Der Prototyp wurde mit den identischen Zerspanparametern wie das Standardwerkzeug eingesetzt, jedoch ist die Auskraglänge des Prototyps doppelt so groß. Trotzdem konnte eine vergleichbare Qualität der Innenverzahnung bei der Fischbearbeitung erreicht werden, was auf die deutlich verbesserte Steifigkeit des entwickelten Prototyps zurückzuführen ist.
Der zweite Prototyp wurde als HSK-100-A Monoblockaufnahme mit einer werkzeugseitigen Schnittstelle für D= 32 mm hergestellt. Der wärmebehandelte Werkstoff hat eine Arbeitshärte von 56 HRC sowie eine Zugfestigkeit über 2.000 N/mm². Dieser Prototyp wurde bei der Herstellung lief liegender gerader Innenverzahnungen getestet. Im direkten Vergleich zu den Standardwerkzeugen konnte der Prototyp, aufgrund der verbesserten Stabilität der Werkzeugaufnahme, mit höheren Zerspanparametern eingesetzt werden.
Die erreichten Ergebnisse in den Zerspantests sprechen deutlich für den Projekterfolg beziehungsweise der prinzipiell erfolgreichen Entwicklung einer langauskragenden Werkzeugaufnahme für den Einsatzfall Wälzschälen mit verbesserten Eigenschaften hinsichtlich Stabilität und Schwingungsdämpfung.
Zielgruppe und Zielmarkt
Der Kundennutzen für den Anwender besteht letztendlich in einer Produktivitätssteigerung, da er durch angepasste Werkzeugaufnahmen höhere Zerspanparameter fahren kann, welche wiederum die Fertigungszeit wie gleichermaßen die Fertigungskosten reduzieren. Bei den durchgeführten Referenz-Zerspanversuchen zeigte sich partiell, dass unter Beibehaltung der Ausgangsparameter (Technologie) Qualtitäts-verbesserungen von IT 10 auf IT 8 erreicht wurden. Generell können die Werkzeughersteller durch verbesserte Werkzeugaufnahmen und die Anwender durch Fertigung verbesserter Bauteile entsprechende Umsatzsteigerungen erzielen. Das anvisierte Bauteileportfolio mit tiefen Innenverzahnungen bezieht sich besonders auf Großbauteile für die Fahrzeugtechnik, die Luft- und Raumfahrt aber auch die Wehrtechnik.