Ziel der Entwicklung

Logo: Demonstrator Rollstuhlauflage, © Nadine Liebig – STFI e.V.
Demonstrator Rollstuhlauflage, © Nadine Liebig – STFI e.V.

Häufig kommt es an warmen Tagen beim Sitzen dazu, dass die sitzende Person schwitzt. Unangenehme Folgen, wie feuchte Ober- und Unterbekleidung im Bereich der Rückenlehne oder Hosen, können die Folge sein. Besonders bei Personen, die im Rollstuhl sitzen, ist eine Sitzpolsterung mit Luftzirkulation und Ableitung der Feuchtigkeit vom Körper zu wünschen. Die meisten Rollstühle werden mit einer einfachen Sitzpolsterung oder ganz ohne Polster geliefert, sodass man auf dem blanken Gewebe sitzt. Dies liegt zum einen an der Gewichtseinsparung, zum anderen an der Konstruktion des Rollstuhls. Faltbare Rollstühle benötigen einen flexiblen oder klappbaren Sitz, der beim Zusammenfalten des Rollstuhls nicht im Weg ist. Zubehör für Rollstühle ist ein eigenes Marktsegment im Bereich des Reha- und Sanitätshandels. Die meisten Hersteller und viele Sanitätshäuser bieten Zubehör für Rollstühle an. Hierbei werden Produkte für einen höheren Sitzkomfort, unter anderem Sitzpolster mit Sitzheizung, Lammfellauflagen o.ä., aber auch Produkte zur Erhaltung der Gesundheit (Dekubitusprophylaxe) angeboten. Häufig werden die Sitzauflagen getrennt nach Rücken- und Sitzfläche verkauft. Durch die Entwicklung einer thermoregulierenden Auflage aus 3D-Abstandtextilien kann zur Erhaltung des Wohlbefindens beigetragen werden.
Untersucht wurden die drei verschiedenen Textilherstellungsverfahren Wirken, Weben und Stricken zur Herstellung von dreidimensionalen Abstandsstrukturen. Hierbei wurden insbesondere die Einwirkungen der unterschiedlichen Maschenbildungsprozesse und die daraus resultierenden Eigenschaften der Abstandstextilien ins Auge gefasst.
Die Mustervarianz der einzelnen Verfahren ist mannigfaltig, da sie sich sowohl auf die bindungsseitige als auch die materialtechnische Gestaltung der Deckflächen bezieht.
Ein weiterer wesentlicher Untersuchungsschwerpunkt liegt in der Einarbeitung der Polfäden. Der Einarbeitungswinkel und die Freistellen der Polfäden sowie die daraus resultierenden Änderungen der Stauchhärte und der thermophysiologischen Parameter wurden untersucht. Die Eigenschaften (z. B. Fadendurchmesser, Oberflächenstruktur) der Fadenmaterialien konnten gezielt zur Einstellung bestimmter Funktionen (Haptik, Luftdurchlässigkeit, Stauchhärte, …) des Abstandstextils eingesetzt werden.
Das Forschungsvorhaben zielte durch einen Methodenvergleich des Abstandsstrickens, des Abstandswebens und des Abstandswirkens auf eine Nutzen-Kosten-Analyse der Herstellungsmethode für Abstandstextilien mit individuell einstellbaren Funktionen ab. Hierbei wurde die gesamte Fertigungskette einem Leistungsvergleich unterzogen.
Durch die geplante Fertigung der Auflage aus einem Abstandstextil konnte eine dämpfende Wirkung erzielt werden. Zudem weist die Abstandsstruktur eine sehr gute thermophysiologische Eigenschaft – den Wärmetransport durch die Struktur hindurch – auf, so dass die Körperwärme und -feuchte an warmen Tagen schnell vom Körper abtransportiert wird. An kühlen Tagen besitzt die Auflage bedingt durch ihre Struktur als Abstandstextil eine wärmende Luftschicht. Dieser Effekt konnte durch eine gezielte Faserstoffauswahl in den Deckflächen und der Polzone noch verstärkt werden. An kalten Tagen soll die Auflage zusätzlich eine Heizwirkung bereitstellen. Diese wurde durch eine Integration von flexiblen Heizdrähten / -schläuchen in die herstellungsbedingten Hohlräume der Abstandstextilien erzeugt.
Die hier entwickelte thermoregulierende Auflage wurde aus einem Abstandstextil gefertigt, welches als Sitzauflage verwendet, den Rückenbereich und / oder den Sitzbereich, oder als Sattelunterlage den Pferderücken polstert. Je nach Einsatzbereich wurde die Form dabei so konzipiert, dass sie auf möglichst viele im Handel erhältliche Rollstühle, Lastenradsitze oder andere Unterlagen passt. Für den Einsatz im Pferdesportbereich wurde eine Größe für ein Pferd mit einem Stockmaß von 160 cm bis 170 cm gefertigt. In der Endverarbeitung wurde die Sitzauflage dahingehend modifiziert, dass sie ein angenehmes Sitzgefühl bietet und keine störenden Nähte, Kanten oder Randverfestigungen aufweist.

Vorteile und Lösungen

Ein Vergleich der drei Textilherstellungsverfahren Abstandsweben, Abstandswirken, Abstandsstricken wurde durch die Verwendung der gleichen Garnmaterialien auf allen drei Maschinen möglich. Hierfür wurde auf allen Maschinen für die Deckflächenherstellung ein Polyestergarn (PES) verwendet. Die Pollage, also die Garne, die für den Abstand zwischen den beiden Deckflächen verantwortlich sind, wurde aus Polyestergarn (PES) oder Polyethylenterephthalatgarn (PET) hergestellt. Für die Beurteilung wichtig ist es auch, dass die Abstandstrukturen möglichst eine vergleichbare Dicke haben. Hierbei ist zu beachten, dass die Dicke nicht bei allen Maschinen einstellbar ist. Beim Abstandsstricken ergibt sich die Dicke aus der Legung der Polfäden. Beim Abstandswirken ist der Abstand der Abschlagbarren entscheidend für die Dicke, und bei den Abstandsgeweben wird der Abstand zwischen der oberen und unteren Gewebelage durch Lanzetten mit der bestimmten Höhe gehalten, bis der Pol im Gewebe genügend fixiert ist. Durch entsprechende Musterung und Anpassung der Maschinen konnten die Abstandstrukturen in annähernd gleicher Dicke hergestellt werden. Die Deckflächen wurden als geschlossene Deckflächen (dicht) und offene Deckflächen (mit Freistellen) gearbeitet. Zudem wurden in einige Proben in die Pollage Gassen eingearbeitet. Die erhaltenen Proben wurden hinsichtlich ihrer thermophysiologischen und textilphysikalischen Eigenschaften untersucht. Es wurden vier Proben identifiziert, welche die besten Ergebnisse lieferten. Das waren zwei Abstandsgestricke, offenes Deckflächenmuster mit Gassen und geschlossenes Deckflächenmuster mit Gassen, sowie zwei Abstandsgewirke, geschlossenes Deckflächenmuster ohne Gassen und geschlossenes Deckflächenmuster mit Gassen. Um die Vorzugsvariante zu bestimmen, wurde nun die Wirtschaftlichkeit des Herstellungsprozesses mit betrachtet. Hierfür wurden vergleichend mehrere Parameter der einzelnen Textilherstellungsverfahren analysiert. Zum Beispiel wurde der Aufwand betrachtet, bis die Maschine einsatzbereit war. Diese Rüstzeit beinhaltet unter anderem das Umspulen und Schären von Teilkettbäumen, das Einziehen der Fäden, die Musterherstellung und auch den Aufwand zur Programmierung. Des Weiteren wurde analysiert, wie lange es dauert, eine Auflage mit dem jeweiligen Herstellungsprozess zu generieren. Anhand dieser Werte und unter Einbeziehung der thermophysiologischen und textilphysikalischen Eigenschaften wurde als Vorzugsvariante ein Abstandsgewirke mit geschlossener Deckfläche und Gassen identifiziert. Im Projektverlauf wurde zudem eine Analyse verschiedener Trennverfahren für Abstandstextilien durchgeführt. Ziel war es, ein Verfahren zu identifizieren, welches wirtschaftlich in den Herstellungsprozess integriert werden kann. Es wurden sieben Methoden untersucht, darunter das Wasserstrahl-, Ultraschall- und Laserschneiden sowie das Schneiden mit rotierenden Rundmessern und einem Heizdraht. Für die im Projekt verfolgten Ansätze hat sich keine der Methoden als zur Integration in den Herstellungsprozess geeignet erwiesen. Die Methoden sind entweder zu aufwändig im eigentlichen Prozess, um in den Herstellungsprozess eingefügt zu werden, insbesondere das Wasserstrahlschneiden, oder die Schnittkanten entsprechen nicht den Anforderungen, zum Beispiel führen die thermischen Verfahren dazu, dass die Garne verschmelzen. Diese verschmolzenen Kanten sind jedoch sehr steif und hart, was zu einem unangenehmen Sitzgefühl und auch zu einer Quelle für Wunden bei sehr empfindlichen Personen führen kann. Aus diesem Grund erfolgte ein weiterer Konfektionierungsschritt in Form eines angenähten Schrägbandes um die Kanten der Demonstratoren. Die Einarbeitung von Heizelementen zur aktiven Beheizung der Auflage wurde ebenfalls im Projekt untersucht. Hierfür wurde zum einen ein Schlauchsystem in die Hohlräume der Abstandstextilien eingebracht. Durch diese kann im Sommer kalte und im Winter warme Flüssigkeit gepumpt werden und somit die Thermoregulierung beim Sitzen unterstützt werden. Zum anderen wurde ein dünner Heizdraht in den Herstellungsprozess integriert und eingearbeitet. Dieser kann an kalten Tagen die Sitzauflage beheizen.

Zielgruppe und Zielmarkt

Zielmärkte sind in erster Linie Medizintextilien und angrenzend Sporttextilien. Die Lösung ist überall relevant, bei denen die Vermeidung von Druckspitzen und der Temperaturausgleich durch Belüftung bzw. Hinterlüftung eine wesentliche Rolle spielen. Als ein Nischenmarkt hat sich der Tiermarkt herausgestellt und kann sich als weitere Markt etablieren.
Die Vermarktung der Projektergebnisse wird hauptsächlich durch die Hersteller von Abstandstextilen, Ausrüster, Konfektionäre und Händler vorgenommen. Dies sind die Transferunternehmen oder Endanbieter, an welche die Projektergebnisse zur Herstellung von Prototypen durch das STFI überführt werden. Die Hersteller von Abstandstextilien transformieren aus dem im STFI entwickelten Prototyp ein finales Produkt, angepasst an ihre Textilanlagen. Der Vertrieb der Finalprodukte erfolgt von dem Abstandstextilhersteller selbst oder als Lohnfertigung für ein Unternehmen. Für das STFI ergeben sich auf das Projekt aufbauende Forschungsprojekte oder auch Entwicklungsanfragen aus der Wirtschaft.
Durch den Einsatz der thermoregulierenden Auflage profitieren primär Personen, welche im Rollstuhl sitzen. Diese können durch Nutzung der Auflage besser sitzen. Die Körperwärme und -feuchte wird abgeleitet und bedingt durch den Aufbau ist eine Entlastung beim Sitzen zu beobachten. Somit kann Druckpunkten, welche zu einem Dekubitus führen könnten, vorgebeugt werden. Durch die textile Konstruktion ist die Auflage leicht und flexibel, wodurch sie unkompliziert zu transportieren ist.
Im Projekt konnten zwei Demonstratoren entwickelt und getestet werden. Der erste Demonstrator ist eine Sitzauflage für einen Rollstuhl. Der Rollstuhl ist als Faltrollstuhl konzipiert und hat somit eine dünne, eher harte Sitzfläche, die bei der Probandin nach kurzem Sitzen zu einem unangenehmen Sitzgefühl und Schmerzen geführt hat. In wiederholten Versuchen an unterschiedlichen Tagen konnte festgestellt werden, dass die Sitzdauer durch die Sitzauflage erhöht werden konnte. Der zweite Demonstrator ist eine Abschwitzdecke für Pferde. Diese wurde für Pferde mit einem Stockmaß von 160 cm bis 170 cm ausgelegt. Das Versuchstier hatte ein Stockmaß von 163 cm. Die Pferdehalterin war mit der Handhabung und Reaktion des Pferdes zufrieden.