Ziel der Entwicklung
Das Elektrospinnen ist ein Verfahren zur Erzeugung von Polymerfasern mit Durchmessern im Nano- und Mikrometerbereich. Vliesmaterialien aus solchen elektrogesponnenen Fasern können aus verschiedensten degradierbaren und nicht-degradierbaren biokompatiblen Polymeren erzeugt werden. Die Projektidee bestand darin, zusätzlich bioaktive Substanzen (Antibiotika, Antimykotika und Antiseptika) in verschiedenen Konzentrationen in die Polymerfasern zu integrieren, um so neuartige lokale Drug-Delivery-Systeme mit optimalen Freisetzungseigenschaften zu erhalten. Dabei sollten die Wirkstoffe über einen definierten Zeitraum in therapeutisch relevanten und einstellbaren Konzentrationen abgegeben werden. Ebenfalls sollte die Einbringung zweier verschiedener Wirkstoffe in ein Vlies realisiert werden, bei der die anschließende retardierte Freisetzung beider Wirkstoffe ähnlich zu einem Kombinationspräparat erfolgen sollte. Die Wirkstoffhaltigen elektrogesponnenen Vliese besitzen ein sehr großes Oberfläche-Masse-Verhältnis, wodurch auch bei niedrigen Wirkstoffkonzentrationen im Material eine beschleunigte, lokale Freisetzung die erwünschte biologische Wirkung zeigen sollte, was zu weniger Nebenwirkungen im Gegensatz zur wesentlich höherkonzentrierten systemischen Gabe dieser Wirkstoffe führen würde. Weiterhin sollten die generierten Wirkstoffvliese hinsichtlich ihrer chemischen und mechanischen Eigenschaften sowie ihrer In-vitro-Cytokompatibilität untersucht werden. Die Vliesmaterialien wurden insbesondere für den Einsatz in den Bereichen Wundversorgung, dentale Erkrankungen und Implantologie, sowie in der Knochenheilkunde erforscht.
Vorteile und Lösungen
Wirkstoffhaltige elektrogesponnene Vliese ermöglichen die Kombination verschiedener biokompatibler Trägerpolymere mit einer Vielzahl an Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen in einem technisch relativ einfach generierbaren und gut handhabbaren Material zur Entwicklung von neuen Medizinprodukten. Die mechanischen Eigenschaften der Vliese und das Freisetzungsprofil der enthaltenen Wirkstoffe können an die jeweilige Anwendung (z.B. Behandlung von Parodontitis durch Freisetzung von Metronidazol und Amoxicillin (Winkelhoff-Cocktail) aus einem Vlies direkt in der Zahntasche) angepasst werden, wodurch der Zugang zu einer Vielzahl potenzieller lokaler Drug-Delivery-Systeme eröffnet wird. Die Kombination von Wirkstoffen mit der polymeren Trägermatrix in einem Prozess vereinfacht die Produktion und Handhabung dieser Art von Wundauflagen, Implantatbeschichtungen und lokal anwendbarer Freisetzungssystemen. Gegenüber der bisher breit eingesetzten systemischen Gabe von Antibiotika, Antimykotika und Antiseptika kann durch eine gezielte Freisetzung der bioaktiven Substanzen direkt am Wirkort die benötigte Wirkstoffmenge signifikant gesenkt werden. Neben einer Kosteneinsparung können Nebenwirkungen minimiert werden, aber auch die Gefahr von Resistenzentwicklungen gegenüber antimikrobieller Wirkstoffe gesenkt werden. Zudem sinkt die Umweltbelastung durch das verringerte Einbringen von Wirkstoffen und resultierenden Abbauprodukten in den Wasser- und Nahrungskreislauf.
Für die Generierung der wirkstoffhaltigen elektrogesponnenen Vliese wurden hauptsächlich biokompatible und degradierbare Polyester (Polylaktid und Poly-e-caprolacton) verwendet. Diese Materialien sind in medizinischen Qualitäten zugänglich. Als Wirkstoffe wurden klinisch relevante Antibiotika (Metronidazol, Ampicillin, Erythromycin), Antimykotika (Clotrimazol, Fluconazol) und Antiseptika (Chlorhexidin) verwendet. Die Wirkstoffvliese sind sterilisierbar und lagerfähig, was eine einfache Bereitstellung und Applizierung durch den Anwender ermöglicht.
Zielgruppe und Zielmarkt
Auf der Suche nach verbesserten Therapiemöglichkeiten und auch im Hinblick auf die antimikrobielle Resistenzentwicklung von Mikroben durch unsachgemäße Anwendung antimikrobieller Substanzen ist in den kommenden Jahren mit einem erhöhten Bedarf insbesondere an lokalen Drug-Delivery-Systemen zu rechnen. Die im Rahmen des Forschungsprojektes entwickelten Wirkstoffvliese, aus denen niedermolekulare Wirkstoffe direkt am Wirkort freigesetzt werden, zeigen gegenüber den bisher am Markt etablierten systemisch verabreichten Wirkstoffpräparaten einige wesentliche Vorteile, wie einer reduzierten Wirkstoffmenge und die Vermeidung erneuter medizinischer Eingriffe bei Verwendung degradierbarer Materialien. Eine optimale Wirkstoffabgabe und das Auflösen des Materials nach Funktionserfüllung kann zudem die Entwicklung von Keimresistenzen reduzieren. Durch die Verwendung von bereits klinisch zugelassenen Wirkstoffen und Biomaterialien können die Risiken und die Kosten der für das Zulassungsverfahren erforderlichen klinischen Studien minimiert werden. Gleichzeitig erhöht sich die Akzeptanz der Wirkstoff-haltigen Vliese in der klinischen Praxis bei der Verwendung etablierter Substanzen.
Der Nutzen des Projektes liegt im Bereich Biomaterialien von INNOVENT in einem erheblichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Generierung elektrogesponnener Fasern, die mit verschiedenen Wirkstoffen beladen sind. Es konnten wertvolle Erfahrungen bei der Anpassung wichtiger Parameter des Elektrospinnens (Polymer- und Wirkstoffkonzentrationen, geeignete Lösungsmittel, verwendete Hochspannung, Flussraten und Kollektoren) gewonnen werden, was die Kompetenz von INNOVENT auf dem Gebiet der Herstellung elektrogesponnener Spezialvliese insbesondere für Anwendungen als Drug-Delivery-Systeme signifikant erhöht hat. Umfangreiches Know-how konnte auch auf den Gebieten der Wirkstofffreisetzung und der Analytik geringer Wirkstoffmengen biologisch hochaktiver Substanzen aufgebaut werden sowie für den Nachweis antimikrobieller Aktivität mittels geeigneter Methodenentwicklung und -anpassung (Agardiffuisonstests (Hemm-hoftests)) erweitert werden.
Die gewonnenen Erkenntnisse und zusätzliches Know-how erlauben INNOVENT seine Position als industrienahe Forschungseinrichtung im Bereich Biomaterialien zu festigen und auch zukünftig als kompetenter Forschungspartner für Aufträge aus der Industrie aufzutreten. Des Weiteren können die Ergebnisse der Forschungsarbeiten in Form von Publikationen, Postern und Fachvorträgen dem interessierten Fachpublikum zugänglich gemacht werden, was zu einer Erhöhung der wissenschaftlichen Reputation auf diesem Forschungsgebiet beiträgt. Das erlangte wissenschaftliche Renommee verschafft einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Mitbewerbern bei der Generierung weiterer Forschungs- und Entwicklungsprojekte und es konnten bereits zwei weitere Projekte mit Industriepartnern initiiert werden.