Ziel der Entwicklung
Zur Erhöhung der Schiffssicherheit unter extremen Seegangsbedigungen bei Starkwind und hohem seitlich anlaufendem Seegang wurden von der IMO (International Maritime Organization) 2006 vorläufige Richtlinien zur alternativen Abschät-zung des Wetterkriteriums MSC.1-Circ. 1200 [1] vorgelegt. Das Wetterkriterium stellt eine Ergänzung der IMO-Resolution A.749(18) [2] von 1993 zur Intakt Stabilität von Schiffen dar. Es zielt vor allem darauf ab, die Kentergefahr bei Schiffen in Extremsituationen durch den Nachweis einer ausreichenden Stabilitätsreserve (aufrichtender Hebelarm) zu minimieren. Da der Nachweis zu den Vorschriften alternativ auf Basis von Modellversuchen beziehungsweise Berechnungen nach Formeln mit verschiedenen teils nicht mehr aktuellen empirischen Ansätzen erfolgen kann, gibt es wesentliche Gründe, die einen vermehrten Forschungsbedarf bedingen. Verwendete empirische Faktoren beruhen meist auf Modellversuchsergebnissen von Schiffsformen, die überwiegend die modernen Schiffsformen nicht mehr genau genug abbilden. Vorgegebene Grenzwerte des Wetterkriteriums für das Breiten-Tiefgangs-Verhältnis und für die Höhenlage des Massenschwerpunktes werden meist von großen Yachten und auch von Fährschiffen nicht erfüllt. Ausfallende Spantformen speziell im Vorschiffsbereich führen nicht selten zu extremen Stabilitätsverlust bei hohem Seegang. Berichte zu Unfällen in schwerem Seegang und jüngste Statistiken zeigen, dass sicherheitsrelevante Grenzwerte zukünftig angepasst werden müssen. Hierzu sind Beiträge erforderlich, die mit verbesserten theoretischen Ansätzen und auch experimentellen Verfahren die erforderlichen Kennwerte gemäß den derzeit geltenden Vorschriften liefern, mit denen eine höhere Prognosesicherheit erzielt werden kann. Im Rahmen des FuE-Vorhabens sollten alternative experimentelle und zu entwickelnde numerische Simulationsmodelle untersucht werden, die es ermöglichen, auch mit Labormodellen üblicher Größe, wie sie für Widerstands- und Propulsionsversuche zum Einsatz kommen, in Verbindung mit numerischen Simulationen akzeptable Kennwerte zu liefern, die dem Nachweis der Vorschriften des Wetterkriteriums vor allem für derzeit marktbestimmende moderne Yachten und Fährschiffe Rechnung tragen. Mit dem Ergebnis des FuE-Vorhabens sollten Empfehlungen formuliert werden, die für die genannten Schiffstypen, die überwiegend durch ein großes Breiten-Tiefgangs-Verhältnis und durch eine hohe Schwerpunktlage gekennzeichnet sind, Alternativen bereitstellen, um den Nachweis für das Wetterkriterium zu liefern. Das entwickelte kombinierte Verfahren aus Laborversuch und numerischer Simulation soll es den Werften und Schiffsentwicklern zukünftig erlauben, die Kosten für ein meist zweites erforderliches Labormodell sowie für bisher aufwendige Modellversuche einzusparen. Kundenanfragen der letzten Jahre sind zunehmend durch eine verstärkte Orientierung auf Untersuchungen mit deutlich gestiegener Komplexität gekennzeichnet. Nachweise zur Seegangs- und Manövriertauglichkeit bei maximaler Schiffssicherheit gehören bereits zum Standard. Der Konkurrenzdruck führt gleichzeitig zur Forderung nach möglichst niedrigen Versuchs- einschließlich Modellbaukosten. Für die Versuchsanstalt ist es deshalb enorm wichtig, Möglichkeiten zu schaffen, dass mit nur einem Labormodell die Versuchskosten deutlich gesenkt werden können. Das entwickelte Verfahren zielt deshalb darauf ab, dass mit dem von vorangestellten Modellversuchen bereits verfügbaren Labormodell möglichst nur ein Basisversuch zum Rückrollwinkel in regulärer Welle gemäß den Vorgaben des Wetterkriteriums durchgeführt werden muss. Es sollte untersucht werden, ob dieser Versuch auch bei Frequenzen oberhalb der Eigenrollfrequenz zu einem akzeptablen Ergebnis führt. Für die Ermittlung der Querkraft und des Krängungsmomentes bei Drift in Glattwasser sollte im Rahmen des FuE-Vorhabens ebenfalls untersucht werden, ob der Versuchsaufwand auf zukünftig einen Basisversuch minimiert werden kann. Im Abgleich der Basisversuche mit dem numerischen Simulationsmodell sollten dann durch nachfolgende Simulationen die weiteren Kennwerte ermittelt werden, mit denen den Vorgaben des Wetterkriteriums entsprochen wird. Windkanaluntersuchungen wurden auf Grund der zur Verfügung stehenden Kapazitäten im FuE-Vorhaben nicht vorgesehen.
Mit der nunmehr möglichen Beschränkung auf nur ein Labormodell mit kleinem Maßstab für die erforderlichen experimentellen Untersuchungen können Maßstabseffekte deutlich reduziert werden. Gerade die teils sehr großen Modellmaßstäbe, die für die experimentelle Bestimmung des Rückrollwinkels gemäß Wetterkriterium erforderlich sind, können die Messgenauigkeit verschlechtern. Langfristig wird angestrebt Untersuchungen zum IMO-Wetterkriterium auf rein numerischem Wege durchzuführen.
Vorteile und Lösungen
Im Rahmen des abgeschlossenen Forschungsvorhabens wurden zwei Simulationsmodelle entwickelt, mit denen auf numerischem Wege die im Wetterkriterium der IMO nachzuweisenden Kennwerte ermittelt werden können. Zum einen handelt es sich dabei um ein Simulationsmodell zur Ermittlung der Driftkräfte und Krängungsmomente bei vorhandener Driftgeschwindigkeit im Glattwasser und zum anderen um ein Simulationsmodell mit dem der zu ermittelnde Rückrollwinkel eines Schiffes in regulären Wellen bestimmt werden kann. Die Verfahrensentwicklung wurde durch begleitende Laborversuche sukzessive unterstützt. Dafür wurden zwei Schiffstypen ausgewählt, eine Yacht und ein Fährschiff. Für die Yacht wurden zwei Labormodelle unterschiedlicher Größe gefertigt, um alternative Möglichkeiten zur Ermittlung der Kennwerte des Wetterkriteriums zu testen und gleichzeitig mögliche Maßstabseffekte zu untersuchen. Zahlreiche Versuchsreihen wurden zur Lieferung von Validierungsdaten ausgeführt. Die Entwicklung, Testung und Weiterentwicklung einer kombinierten Anlage zum Nachführen eines Labormodells bei freier Beweglichkeit in queranlaufenden Wellen und zum Halten eines Modells für Kraftmessungen bei kleinen Driftgeschwindigkeiten erlaubt zukünftig die Einsparung von Versuchspersonal. Gleichzeitig zeigte sich aber, dass mit der Anlage noch nicht das komplette Spektrum an üblichen Modellgrößen der SVA untersucht werden kann. Hier besteht zukünftig noch Entwicklungspotenzial. In der Analyse der Versuchsreihen konnten mit der Erarbeitung einer Extrapolationsfunktion und mit der Anwendung der Versuchstechnik in transienten Wellenpaketen zwei weitere alternative Methoden zur Ermittlung des Rückrollwinkels aufgezeigt und zur Diskussion für zukünftige Anwendungen gestellt werden. Der Einsatz des Verfahrens trägt nicht zuletzt dazu bei, einen weiteren Beitrag zur Erhöhung der Schiffssicherheit zu liefern. Das Angebot des Verfahrens als neue Dienstleistung der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam GmbH erhöht nicht zuletzt damit deren Wettbewerbsfähigkeit.
Zielgruppe und Zielmarkt
Laut VSM erfolgte nach der Finanzkrise 2008 eine Abkehr vom Standardschiffbau mit Fokussierung auf Nischenmärkte, wie Passagierschiffe und Fähren. Ende 2019 entfielen 95 Prozent des Auftragsbuches auf diese beiden Segmente gegenüber etwa 30% vor 15 Jahren, wobei die Konkurrenz zunehmend aus China kommt. Der Auftragsbestand deutscher Werften mit 54 Schiffen und einem Gesamtvolumen von 18,7 Mrd. € bewegte sich dabei auf einem hohen stabilen Niveau. Mit dieser Entwicklung wird für zahlreiche Werften, Zulieferer und Dienstleister wie die Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam die Chance gesehen, sich auf diesen Marktsegmenten zu behaupten. Aufträge zum traditionellen Schiffbau werden nur noch einen untergeordneten Stellenwert einnehmen. Vor allem der hohe Auftragsbestand an Passagierschiffen wozu auch Yachten mit weit über 100 m Schiffslänge gehören, macht deutlich, dass hier neue Felder entstanden sind, die einen enormen Bedarf an Forschung und Entwicklung bedeuten. Speziell bei neuen Yachtformen stehen moderne Designs oft im Widerspruch zu deren Seegangstauglichkeit. So gibt es in jüngster Zeit unter Anderem vermehrt Kundenanfragen zum Nachweis der Forderungen des IMO-Wetterkriteriums. Gerade, was Sicherheitsfragen betrifft, werden hinsichtlich bestehender Vorschriften und Empfehlungen innerhalb der nächsten Jahre national als auch international viele Neuregelungen zu erwarten sein. Die Seetüchtigkeit wie die Prognose zur Kentersicherheit eines Schiffes sind in der Planungsphase wie auch im Schiffsbetrieb sowohl von enormer finanzieller als auch von sicherheitsrelevanter Bedeutung. Vor allem die Forderungen zum Nachweis der Kentersicherheit für den Schutz von Menschenleben und zur Sicherung der Ladung sind deutlich verschärft worden. Eine große Herausforderung stellt dabei die dringend erforderliche Aktualisierung der Vorschriften zum Nachweis des IMO-Wetterkriteriums dar, die mit der Entwicklung neuer Schiffstypen zukünftig einer Unterteilung in verschiedene Schiffsklassen erforderlich machen wird. Die erzielten Ergebnisse des abgeschlossenen FuE-Vorhabens zu möglichen alternativen Bestimmungsverfahren des Rückrollwinkels und Krängungsmomentes sollen dabei den administrativen Organisationen zur Diskussion gestellt werden. Auch der Sektor der Spezialschiffe wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Bereits jetzt werden schon Grenzwerte gefordert, die es auch noch unter ungünstigen Seegangsbedingungen Schiffen erlauben beispielsweise an Offshore-Anlagen sicher an- und abzulegen und ein gefahrloses Überwechseln der jeweiligen Crew gestatten. In der Betrachtung damit verbundener Gefahrenpotenziale durch vor allem große Rollschwingungen wurde mit den Entwicklungen im Forschungsvorhabens Rechnung getragen, damit die erforderlichen Kennwerte zur Erfüllung des Wetterkriteriums auch für neuartige Schiffsformen effizient nachgewiesen werden können. Bereits gewonnene Erfahrungen mit dem Nachweis des Wetterkriteriums für Yachten ermöglichen der SVA mit einem verbesserten Angebotsprofil, durch Anwendung der Ergebnisse des abgeschlossenen FuE-Vorhabens für große Yachten und Passagierschiffe sich weitere Grundlagen zu schaffen und praxisnahe Simulationsverfahren zu erarbeiten, um sich langfristig als wettbewerbsfähiger Dienstleister anbieten und gegenüber anderen Versuchsanstalten behaupten zu können. Da sich die Anfragen zu gesicherten Prognosen zum Betriebsverhaltens des Schiffes unter Seegangsbedingungen vor allem in den kommenden Jahren bedingt durch verschärfte Vorschriften deutlich erhöhen werden, wird ein Anstieg des Anteils an derartigen Untersuchungen auf deutlich über 50 Prozent gegenüber bisheriger Fragestellungen erwartet. Hier werden vor allem auch die Projektierungsbüros, Werften und zunehmend die Reedereien einbezogen, die jeweils ihren Anteil in das Produkt Schiff einbringen. Die Marktgröße wird maßgeblich durch die Preise der Schiffe bestimmt, für die Untersuchungen angeboten werden, die einen hohen Stellenwert bezüglich der Kentersicherheit haben. Dabei ist zu erwarten, dass die zunehmende prognostizierte Spezialisierung vor allem von Großyachten, die durch große Variabilität der Kundenwünsche geprägt ist, zu einer deutlichen Erhöhung des Marktvolumens der Schiffspreise führen wird. Seegangsuntersuchungen mit speziellen Untersuchungen zum Rollverhalten und der Kentersicherheit sind im Rahmen von Gesamtprojekten der SVA bereits Standard. Eine produktnahe Umsetzung der Ergebnisse erfolgt direkt bei den Kunden der SVA, wobei insbesondere die deutschen Werften und Reeder des Sektors von großen Yachten und Fährschiffen angesprochen werden, die unmittelbaren Einfluss auf die Produktentwicklung haben. Auch durch langjährige Forschungskooperationen mit Universitäten und Forschungseinrichtungen können die Ergebnisse für weitere Entwicklungen eingesetzt werden. Um die Vermarktungschancen zu erhöhen, werden die Ergebnisse durch Vorträge auf Fachtagungen, Messen und durch Publikationen in der Fachpresse veröffentlicht.