Ziel der Entwicklung

Logo: Zugverformung (in Pfeilrichtung) der Lederprobe PL 7 mit Prüfspitze S2: Gesamtverschiebungen (in Falschfarben) bei diversen Zugbewegungen; a) 0,2 Millimeter; b) 0,4 Millimeter; c) 0,6 Millimeter
Zugverformung (in Pfeilrichtung) der Lederprobe PL 7 mit Prüfspitze S2: Gesamtverschiebungen (in Falschfarben) bei diversen Zugbewegungen; a) 0,2 Millimeter; b) 0,4 Millimeter; c) 0,6 Millimeter

Flexible Flächenmaterialien wie Leder, beschichtete Textilien, Textilverbunde und Verbundfolien unterliegen sowohl während der Verarbeitung als auch im späteren Gebrauch vielfältigen, mitunter komplexen mechanischen Beanspruchungen. Daraus ergeben sich entsprechende Anforderungen für die konstruktiven und funktionalen Eigenschaften. Die zugrundeliegenden Prüfverfahren und Zielparameter spiegeln dabei lediglich das integrale / gesamtheitliche Verhalten des Verbundes wider. Die im Inneren der Verbundmaterialien auftretenden Verformungs- und Versagensmechanismen werden bislang nicht betrachtet, sind aber für eine Vielzahl von anwendungstechnischen Fragestellungen von entscheidender Bedeutung. Besondere Effekte (wie zum Beispiel Haptikphänomene, Losnarbigkeitseffekt beim Leder), Eigenschaften (Verschleiß, funktionale Merkmale) und Verhaltensweisen (Delamination, Schädigung, bleibende Deformationen) der Verbundmaterialien lassen sich häufig nur anhand von intrinsischen Materialprozessen und Gegebenheiten der Einzelkomponenten erklären.
Zur Untersuchung und Identifizierung der Einflüsse von Einzelschichten, Material- und Struktur-komponenten auf das gesamtheitliche Verformungsverhalten und die mechanischen Eigenschaften flexibler Verbundmaterialien wie Leder, beschichtete Textilien, Textilverbunde und Verbundfolien, sollte eine praktikable, mit begrenztem Zeit- und Geräteaufwand durchführbare Methodik auf Basis der bildgebenden Darstellung mittels Lichtmikroskopie entwickelt werden. Die durch verschiedene mechanische Beanspruchungen im Materialinneren induzierten Gestalt- und Strukturänderungen, unter anderem Verschiebungen, Verformungen oder Größenänderungen lokaler Strukturmerkmale wie Hohlräume / Poren, Fasern oder Füllstoffe / Pigmente sollten unter Betrachtung des Materialquerschnitts sequentiell verfolgt und ausgewertet werden.
Angesichts der langjährigen methodischen Erfahrung, gestützt von den positiven Erkenntnissen aus Vorarbeiten, wurde als Auswertungsverfahren die digitale Bildkorrelation (DIC, Digital Image Correlation) auf Basis lichtmikroskopisch aufgenommener Bildfolgen der Verformungsvorgänge ausgewählt.

Vorteile und Lösungen

Durch die neuartige Kombination der lichtmikroskopischen Betrachtung und der digitalen Bildkorrelation lassen sich Gesamtverschiebungen, lokale Verschiebungen und Dehnungen in beiden lateralen Richtungen der Bildebene sowie Haupt- und Nebenformänderungen der avi-sierten Materialien bezüglich ihrer lokalen Orientierung und Größe bestimmen. Durch manuelle Auswahl einzelner Facetten oder Bildpunkte sind auch lokale Verschiebungs-/Verformungsorientierungen anhand von Richtungspfeilen/-vektoren charakterisierbar. In Abhängigkeit von Objektiveinsatz beziehungsweise Vergrößerung können Verschiebungen mit einer kleinstmöglichen Differenzierung von 1-2 Mikrometer durch die DIC-Software quantifiziert und in Form einer Falschfarbendarstellung visualisiert werden. Die höchste Auflösung von Dehnungen/Stauchungen, Haupt- und Nebenformänderungen liegt bei etwa 0,1 Prozent, bezogen auf die Ursprungs- beziehungsweise Referenzposition des Musterquadrates oder Bildpunktes.
Die durch die jeweilige mechanische Beanspruchung im Materialinneren induzierten Defor-mationen, Gestalt- und Strukturänderungen konnten somit zunächst anhand der mikroskopisch erfassten Bildserien sequentiell verfolgt und anschließend mittels DIC ausgewertet, visualisiert und quantifiziert werden. So erlaubt die neue kombinierte Methodik neben der Erfassung der Ausbreitung einer Verformungsfront/-welle und der Identifizierung von Kompres-sions-/Dehnungskonzentrationsstellen auch die Detektion und die Aufklärung material- und schichtspezifischer Verformungsphänomene, wie ein Kollabieren einer Poren- oder Schaum-struktur, Materialaufwölbungen/-extrusionen, Faltenbildungen (unter anderem beginnender Losnarbig-keitseffekt bei Leder), graduelle und differenzierte Materialakkomodationen und Verzerrungen (durch Unterschiede in der Nachgiebigkeit, Steifigkeit und Verformbarkeit) unter Zuweisung maßstabsgetreuer Verschiebungen und Verformungsbeträge.
Die neue Methodik trägt dazu bei, die verformungsspezifischen Merkmale von Einzelschichten und -komponenten und deren Einflüsse auf die gebrauchsrelevanten mechanischen Ei-genschaften und das Festigkeits- und Verformungsverhalten des Gesamtverbundes zu verstehen und exakter zu interpretieren. Deshalb stellt die Methodik vor allem im Rahmen von Material- und Produktentwicklungsprozessen für zahlreiche diese Materialien herstellenden, verarbeitenden und prüfenden/qualifizierenden Unternehmen und Branchen ein wichtiges begleitendes Werkzeug dar, um den strukturellen Aufbau des Verbundmaterials genau auf den jeweiligen Anwendungszweck, unter anderem auch bezüglich funktionaler Aufgabenstellungen, abstimmen zu können. Damit lassen sich individuelle Materialanforderungsprofile ableiten und folglich ist ein Grundbaustein für die zielgerichtete Entwicklung beanspruchungs- bzw. verformungsoptimierter flexibler Verbundmaterialien gegeben. Die Testergebnisse können auch bei Fragestellungen im Bereich der Fehlerdiagnostik/Schadensfallbearbeitung Anwendung finden und durch die Lösungsfindung indirekt zu einer Reduzierung von Ausfallraten und Reklamationen beitragen. Des Weiteren eignen sich die mittels digitaler (oder selten manueller) Bildkorrelation gewonnenen Verformungsdaten zur gezielten (Weiter-)Entwicklung von Werkstoffmodellen für Simulationen von Beanspruchungen an Materialverbunden sowie Halbzeugen / Bauteilkomponenten, versehen mit flexiblen Bezugsmaterialien, welche der theoretischen, konstruktiven Material-/Produktauslegung dienen.

Zielgruppe und Zielmarkt

Aufgrund des intensiven Wettbewerbs und der hohen Qualitätsanforderungen haben Materi-alhersteller, -verarbeiter, Systemlieferanten und OEMs (Automobilherstellern) während der Produktentwicklung einen großen und stetig wachsenden Bedarf an externen Materialuntersuchungen und -qualitätskontrollen.
Angesichts der hohen Innovationskraft und wirtschaftlichen Bedeutung ist die Automobil- und insbesondere die Automobilzuliefererindustrie als einer der wichtigsten und größten Zielmärkte zu definieren. Im Anwendungsbereich Automobil wird vor allem Fragestellungen wie Wertigkeit der Innenraumausstattung, Sitzkomfort, Haptik, Verformungsvermögen oder Verschleiß- und Kratzfestigkeit von polymeren Verbundmaterialien (gleichrangig sowohl im Bereich beschichteter Textilien wie auch Ledermaterialien) vornehmlich bezogen auf Interieurkomponenten, wie Fahrzeugsitze, Seitenverkleidungen, Dachhimmel, Instrumententafeln, Lenkräder und Schalthebelsäcke, ein großer Stellenwert eingeräumt. Nur ein geringer Teil der deutschen Systemlieferanten befasst sich mit der Verarbeitung der avisierten Werkstoffe beziehungsweise der Herstellung von darauf basierenden Verbundkomponenten.