Ziel der Entwicklung
Der Vorgang des Einfärbens von Kunststoffen im Spritzgießen ist aufwändig und erfolgt in mehreren Iterationsschritten. Nachdem eine Zielfarbe vom Kunden definiert wurde, wird mithilfe einer Rezeptiersoftware ein Farbrezept erstellt. Dieses Rezept berücksichtigt die meist eingeschränkte Auswahl an verfügbaren Farbmitteln beim Verarbeiter, sowie Glanz- und Metamerieeffekte, welche beim Vermischen auftreten können. Anschließend folgt ein mehrstufiger Vorgang, bei dem die reale Mischfarbe auf die Zielfarbe abgeglichen wird. Hierfür werden zunächst Farbproben mit dem gewählten Rezept spritzgegossen. Anschließend erfolgt eine Analyse im Farblabor. Die Abweichung der Mischfarbe von der Zielfarbe wird als Grundlage für die anschließende Korrektur des ursprünglichen Rezepts genommen. Auf diese Weise nähert sich die Mischfarbe mit jedem Iterationszyklus der gewünschten Zielfarbe an. Üblich sind hier zwei bis drei Iterationsschritte, bis das Ergebnis zufriedenstellend ist.
Ziel dieses Forschungsprojektes war die Entwicklung eines intelligenten Assistenzsystems für die Online-Rezeptierung von Flüssigfarben im Spritzgießprozess. Im Kern sollte dabei ein Verfahren entwickelt werden, welches durch Methoden des maschinellen Lernens ein datengestütztes Modell des Prozesses und der verwendeten Flüssigfarben erstellt und dieses zur Rezeptierung und zur Qualitätskontrolle im Spritzgießprozess verwendet. Der Vorteil dieser Vorgehensweise gegenüber physikalisch basierten Modellen ist, dass die notwendige Datenbasis schrittweise im Prozess und unter realen Prozessbedingungen aufgebaut werden kann und auf das aufwändige Erstellen von Eichreihen unter Laborbedingungen verzichtet werden kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass die zugrunde liegende Datenbasis während der Produktion stetig erweitert wird, da mit jedem produzierten Formteil neue Prozessdaten zur Verfügung stehen.
Der Anwender definiert eine Zielfarbe und das zuvor angelernte Farbmodell berechnet die erforderlichen Flüssigfarbanteile. Über eine mit dem Farbmodell vernetze Dosierstation werden die einzelnen Flüssigfarben direkt in die Einzugszone der Spritzgießmaschine gegeben. Dadurch wird die Zeit zwischen den Farbanpassungen minimiert und es entfällt das aufwändige Anmischen neuer Farben und die damit verbundenen Farbabfälle. Die Qualitätssicherung bei dieser Lösung erfolgt über einen Inline-Farbsensor, welcher die Farbe jedes einzelnen Formteils misst. Bei Abweichungen von Formteil- und Zielfarbe wird ein neuer Stützpunkt erzeugt und das Farbmodell angepasst. Dadurch können Farbabweichungen nicht nur erkannt und ausgeregelt werden, sondern das Farbmodell wird über die Zeit immer präziser und zukünftige Farbrezepte erfordern weniger Iterationen bis zum Erreichen der gewünschten Farbe.
Vorteile und Lösungen
Im ersten Schritt wurde ein Versuchsstand aufgebaut. Eine Spritzgießzelle mit Handlingsystem wurde um ein Inline-Spektralphotometer zur Farbmessung und eine Dosierstation für Flüssigfarbe erweitert. Das Zuführen der Flüssigfarbe erfolgt in der Einzugszone über einen speziell entwickelten Kühlblock, der das Einführen von Dosierlanzen für bis zu vier Farbkanäle ermöglicht. Es wurde eine Software entwickelt, die die Prozessdaten von Spritzgießmaschine und Spektralphotometer erfasst und die Dosierstation steuert.
In systematischen Spritzgießversuche wurden die Dosiermengen der einzelnen Farbkanäle variiert und damit eine Datenbasis für die Modellbildung geschaffen. Die gesammelten Prozessdaten werden durch die Software bereinigt und aggregiert. Anschließend erfolgt eine Aufteilung in Trainings- und Testdaten. Für die datengetriebene Farbprognose wurden verschiedene Modellansätze hinsichtlich ihrer Güte untersucht, u.a. lineare und polynomielle Modelle, Decision Trees und Random Forest sowie neuronale Netze.
Nach Abschluss der grundlegenden Untersuchungen wurde ein Assistenzsystem für die Inline-Rezeptierung entwickelt. Das System erkennt Farbwechsel automatisch und hinterlegt neue Messwerte, wenn sich eine stabile Formteilfarbe eingestellt hat. Auf diese Weise erweitert sich die Datenbasis während der Produktion kontinuierlich. Durch die entwickelte Funktion „Lernen im Prozess“ können neue Messwerte in das Modelltraining einbezogen werden, wodurch sich die Genauigkeit der Prognosemodelle verbessert. Über eine grafische Benutzeroberfläche hat der Anwender die Möglichkeit, die resultierende Formteilfarbe für die aktuellen Dosiereinstellungen auszugeben oder Farbprognosen für abweichende Dosiereinstellungen durchzuführen. Auf diese Weise unterstützt die Software bei der Wahl des richtigen Farbrezepts.
Für die automatische Bestimmung der passenden Dosiereinstellung bei vorgegebener Zielfarbe wurde eine Optimierungsfunktion entwickelt. Die erlaubt es dem Anwender, die Dosiereinstellung automatisch so anzupassen, dass der Farbabstand zu der gewünschten Zielfarbe minimiert wird. Dabei wird der Wertebereich der zugrundeliegenden Datenpunkte berücksichtigt, um Extrapolation zu vermeiden. Mithilfe einer aussagekräftigen 3D-Visualisierung wird der Anwender bei der Bewertung der Güte der Prognose unterstützt. Dadurch lässt sich zum Beispiel feststellen, ob die gewünschte Zielfarbe in dem Farbraum der gewählten Farbmittel liegt oder wie groß der zu erwartende Farbfehler ist.
Zielgruppe und Zielmarkt
Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Kreislaufwirtschaft sind derzeit die großen Trendthemen in der industriellen Produktion im Allgemeinen und speziell in der Kunststoffbranche.
Sowohl die Maschinenhersteller als auch die Verarbeiter sind zunehmend bemüht, Lösungen für nachhaltigere Produktionsmethoden zu etablieren. Die Digitalisierung gilt dabei als großer Enabler. Durch den zunehmenden Rezyklatanteil in Kunststoffprodukten kommt es häufig zu farblichen Abweichungen im Grundmaterial. Deshalb sind innovative Lösungen gefragt, die Farbabweichungen erkennen, ausregeln und den Ausschuss minimieren. Die in dem Forschungsprojekt entwickelte Lösung bietet genau in diesen Bereichen erhebliches Potenzial.
Das Einfärben von Kunststoffen spielt dabei branchenübergreifend eine sehr große Rolle. Vor allem in der Verpackungs- und Konsummittelfertigung ist die Farbgebung ein Faktor, der den wirtschaftlichen Erfolg eines Produkts entscheidend beeinflusst. Hier wird zum einen versucht, mit einer bestimmten Farbgebung einen gewünschten Sinneseindruck und damit verbundene Emotionen beim Käufer zu wecken. Andererseits geht es darum, die Produktmarke farblich zu unterstreichen. Darüber hinaus bildet sich verstärkt der Trend zu einer auf den speziellen Kundenwunsch zugeschnittene Farbgebung heraus, die dem Kunden ein individualisiertes Produkt trotz Massenproduktion bietet, Stichwort: „Losgröße Eins“. Dieser Trend setzt sich auch im Automobilbau fort, wo mit dem Wandel zur E-Mobilität eine zunehmende Nachfrage nach hochwertigem Interieur für Baureihen der Klein- und Mittelklasse aufkommt. Die geplante EU-Verpackungsverordnung sieht unter anderem Rezyklateinsatzquoten vor. Ab 2030 müssen alle Kunststoffverpackungen einen Mindestanteil an PCR (Post-Consumer-Rezyklaten) aufweisen. Bei Lebensmittelverpackungen liegt der geplante PCR-Anteil im Jahr 2030 bei 10%. Bei den Einweg-Getränkeflaschen bei 30% und bei den sonstigen Kunststoffverpackungen bei 35%.
Ferner trägt die Entwicklung dazu bei, den Marktanteil der Flüssigfarben am Markt zu vergrößern. Davon profitieren die betroffenen Hersteller von Flüssigfarben sowie Anbieter von Pumpentechnik. Außerdem wird es dazu führen, dass Hersteller, die derzeit auf Masterbatch anstatt Flüssigfarbe gesetzt haben, verstärkt Flüssigfarbe einsetzen werden. Die höhere Deckkraft und der geringere Materialeinsatz bewirken eine Schonung von Ressourcen. Insgesamt führt diese Entwicklung zu einer nachhaltigen Steigerung der Flexibilität und Produktivität der betroffenen Unternehmen.