Ziel der Entwicklung
Analytischer Ultraschall in den verschiedensten Anwendungen verliert in der Regel bei geringem Signal-Rausch-Verhältnis deutlich an Empfindlichkeit und Genauigkeit. Zudem erschweren unbekannte Ausbreitungseigenschaften innerhalb des Mediums, Mehrfachreflexionen oder Trennschichten innerhalb des zu messenden Systems, die exakte Modellierung und Ableitung von physikalischen Parametern. Ein adäquates Werkzeug kann hierbei die Zeitumkehrtechnik oder Time reversal sein. Diese basiert auf der Erzeugung einer positiven Interferenz mehrerer Signale an einem Fokuspunkt unter Ausnutzung der Umkehrbarkeit eines divergenten Schallfeldes in linearen Systemen. Typischerweise werden die nötigen Signale durch Aufzeichnung, Zeitinvertierung und Vertauschen von Quell- und Empfangspunkten erstellt. In der zerstörungsfreien Materialprüfung oder der thermischen Behandlung von Gewebe wird auch ein iteratives Verfahren verwendet, um gezielt Schall auf Fehlstellen oder Inhomogenitäten (die durch die Streuung von Schall signaltheoretisch als Quelle erscheinen) zu fokussieren. Letztere ist aus jetziger Sicht für die avisierte Anwendung nicht relevant.
Das Verfahren bietet die Vorteile keinerlei Wissen über akustische Eigenschaften zu benötigen und gegenüber Modenkonversion bzw. Trennschichten oder Mehrfachreflexionen relativ unempfindlich zu sein. Mehrere Reflexionspfade können sich sogar vorteilhaft auf das Verfahren auswirken.
Das Verfahren der Zeitumkehr akusto-elastischer Wellen in berandeten Gebieten (Kavitäten) basiert im Wesentlichen auf einer Mehrpfadausbreitung. Das Ergebnis der Fokussierung wird umso „besser“ (bzgl. zeitlicher und räumlicher Trennschärfe) je mehr unterschiedliche Quellpunkte oder Ausbreitungspfade vorliegen und je geringer die Signaldämpfung und der Rauschpegel sind. Die Modellierung einer Mehrpfadausbreitung mit mehreren Quellpunkten im Sinn einer MIMO-Kanal-Therorie sind hierbei einfach umsetzbar. In diesem Kontext wurden verschiedene Konzepte von Kavitäten bzgl. der max. zulässigen bzw. nutzbaren geometrischen Ausdehnung, des Materials und der Schallwandleranzahl und –frequenz untersucht. Es wurden typische Materialkombinationen (Acryl-Wasser / Stahl-Kunststoff) hinsichtlich der Signalpfadlaufzeiten innerhalb einer Kavität in Relation zur Wellenlänge und der Wellenfront bewertet. Es hat sich gezeigt, dass i.d.R. eine Anzahl von drei Reflexionen pro Einzel-Ausbreitungspfad hinreichend ist, um ein Schallsignal zu fokussieren. Der Beitrag jeder weiteren Reflexion ist vernachlässigbar. Dies beruht u.a. auf der auftretenden Modenkonversion und Aufsplittung der Signalenergie. Die Dissipation an den Grenzflächen nimmt zudem zu. Des Weiteren sind redundante Signalpfade sind zu vermeiden, da hiervon kein Beitrag zur Fokusqualität zu erwarten ist. Simulationen und empirische Studien belegen diese Aussagen.
Als Richtwert kann ein empfangenes Schallsignal nach Ausbreitung in einer Kavität auf 30 Prozent der effektiven Signallänge gekürzt werden. Die effektive Signallänge beschreibt den Signalanteil, der noch deutliche vom Rauschen zu unterscheidende Energieanteile aufweist.
Im Rahmen des Projektes standen zwei fundamentale Forschungs- und Entwicklungsaspekte im Vordergrund: einerseits die Abbildung bzw. semi-analytische Modellierung der Schallausbreitung in (beliebig) geformten Kavitäten für die Realisierung eines virtuellen Gruppenstrahlers und andererseits die Entwicklung eines Verfahrens / Algorithmus zur dynamischen Fokussierung der Schallenergie (kein Leistungsschall) im Prozessmedium.
Im Ergebnis des Vorhabens sollten ein Algorithmus zur Kalibrierung von chaotischen Kavitäten vorliegen und anhand von Funktionsmustern die Möglichkeiten und Grenzen der hochauflösenden dynamischen Schallfokussierung für prozesstechnische Anwendungen gezeigt werden.
Vorteile und Lösungen
Als wesentliches Ergebnis des Projektes konnte die bewertende Aussage abgeleitet werden, dass eine systematische Auslegung einer bisher „chaotischen“ Kavität hinsichtlich definierter Anforderungen mit „vereinfachten“ Werkzeugen möglich ist. Im Rahmen der Arbeiten wurden verschiedene FE-Modelle der Schallausbreitung in berandeten Gebieten (Kavitäten) erstellt. Es liegen Modelle vor zur Berechnung: a) geführter Wellenmoden, (b) der 2D-/3D-Schallausbreitung ausgehend von beliebigen Quellen und c) des transienten Verhaltens bei Anregung piezokeramischer Schallwandler mit den kalibrierten ZU-Signalen aus (b). Mit den Modellen ist die „rein“ virtuelle (numerische) Kalibrierung einer Wandleranordnung in Kombination mit einer Kavität möglich.
Die Ergebnisse zeigen zudem, dass eine unsymmetrische Anordnung der Schallquellen und gleichbedeutend eine unsymmetrische Kavität die Güte / Trennschärfe des Fokus verbessern und den Öffnungswinkel (Variationsbereich des Fokus) vergrößern. Symmetrische Anordnungen führen zu redundanten gleichwertigen Ausbreitungspfaden und zur Erzeugung eines dominanten Schallfeld-musters, das insbesondere die räumliche Dynamik des Fokus verschlechtert. Diese Eigenschaft hat direkten Einfluss auf die Form der zu wählenden Testkavitäten. Die thermischen Störgrößen und die Inhomogenität der Materialien und/oder Grenzflächen stellen ein geringeres Problem dar als ursprünglich angenommen. Die typischerweise als Streuung betrachteten Schallpfade (an rauhen Grenzflächen oder Inhomogenitäten) sowie gekrümmte Schallpfade aufgrund von Gradienten im Material werden vom Zeitumkehr-Verfahren bereits hinreichend genau abgebildet. Eine vereinfachte iterative Kalibrierung (siehe iterative Zeitumkehr) ist damit möglich.
Zur Validierung der Kalibriermethode wurden für drei exemplarische Anwendungen eine vollständige numerische Dimensionierung (Auslegung) durchgeführt, jeweils ein Funktionsmuster (Demonstrator) aufgebaut und verschiedene Messverfahren für den empirischen Nachweis realisiert. Zu den gewählten Anwendungen zählen: der Schall-Reaktor, das Haptik-Display und die Füllstandsmessung unter einem Fehlwinkel. Für alle drei avisierten Anwendungen konnte der empirische Nachweis der Funktionalität und der physikalischen Beeinflussung von Mikropartikeln erfolgreich erbracht werden. Die theoretischen Grundlagen zur physikalischen Wirkung eines transienten rotierenden Schallpunktes ließen sich bestätigen. Die Basis zur Auslegung und Dimensionierung des applikativen Aufbaus liefern die FE-Modelle und der lineare Raytracer zur Kalibrierung von einfachen Kavitäten.
In Kurzform zählen zu den wesentlichen Ergebnissen:
– vollständig Virtuelle (numerische) Kalibrierung eines Zeitumkehrverfahrens ist möglich,
– die Optimierung der Geometrie einer Kavität bzgl. angepasster Reflexionsflächen ist umsetzbar,
– geschlossene Kavitäten und Volumen ermöglichen eine Fokussierung von transienten akusto-elastischen Felder auf nahezu beliebigen Trajektorien auch außerhalb des physikalischen Öffnungswinkels der Schallfelder der Wandler oder des Wandlerarrays
– Kalibrierung eines beliebigen lokal begrenzten transienten Druckfeldes (Fokuspunkt) mit variablen Abstand (Tiefe),
– Berechnung einer (beliebig geformten) Trajektorie zur Verschiebung des Fokuspunktes,
Realisierung eines Multifokus,
– Reduktion des Zeitumkehrsignals auf wenige Hauptkomponenten (< 30 % der Signallänge) und Umsetzung als Digitalsignal,
– automatisiertes 3D-Simulationsmodell zur Berechnung der Zeitumkehrsignale
Die Funktionalität der Kalibriermethode und die Zulässigkeit der Zeitumkehrdimensionierung wurden an drei ausgewählten (praxisnahen) Beispielen erfolgreich nachgewiesen:
Adaption des Zeitumkehrverfahrens für eine nichtinvasive Füllstandsmessung mit wenigen Schallwandlern mittels einer chaotischen Kavität für den Sonderfall: schräge Grenzflächen (z.B. Schiefstellung des Behälters oder schräge Ankopplung des Wandlers)
Haptik: Die mechano-akustische Interaktion über eine flächige Kavität (Platte) wurde für „höhere“ akustische Frequenzen f < 40 kHz (außerhalb des hörbaren Bereichs) dargestellt und in einen neuen Demonstrator überführt.
Die Beeinflussung von Partikeln (Schallreaktor) mit Schallwellen im Freivolumen wurde gezeigt
Zielgruppe und Zielmarkt
Die Projektergebnisse und die aktuellen Fortschritte und Veröffentlichungen anderer Forscher-gruppen zum Thema der Zeitumkehr für akustische Gruppenstrahler lassen die erfolgreiche Umsetzung der Forschungsergebnisse als äußerst aussichtsreich erscheinen.
Der Austausch mit fachvertrauten Wissenschaftlern auf diversen Konferenzen sowie die intensive Recherche zu aktuellsten Veröffentlichungen hat gezeigt, dass z. Z. einige Grundlagenentwicklungen zur Nutzung der Zeitumkehrtechnik akustischer und elastischer Wellen erfolgen. Im medizinischen Bereich ist beispielhaft die Verwendung als therapeutischer Ultraschall mit orts- und zeitaufgelöster Beeinflussung von Gewebe zu nennen. In der Prozessüberwachung finden sich Arbeiten zur Umsetzung als virtueller Gruppenstrahler zur ortsaufgelösten Überwachung von – aus Sicht der akustischen Wandler – „heißen“ Metallschmelzen. Teils unveröffentlichte aktuelle Entwicklungen zielen zudem direkt auf die Nutzung der akustischen Zeitumkehrtechnik für die Überwachung und Beeinflussung von fluiden Medien. Die im vorliegenden Projekt avisierte Nutzung als virtueller Gruppenstrahler zur Erzeugung transienter akustischer Felder für die Materialbeeinflussung in flüssigkeitsgefüllten „Mikro“-Kavitäten wird jedoch bisher nicht verfolgt. Es sind einzig Ansätze auf Basis klassischer Gruppenstrahler und holografischer akustischer Linsen [19] zu finden. Folglich bilden die Ergebnisse des vorliegenden Projektes eine solide Basis zur weiteren wissenschaftlichen und innovativen Verwertung.
Als Ergebnis des Vorhabens liegt erstens eine umfassende Studie zum Stand der Technik und den aktuellen Forschungsaktivitäten im Bereich der Anwendung komplexer Schallfelder (kein Leistungsschall) zur Manipulation von Materie und der Virtualisierung von Schallquellen auf beliebig geformten Grenzflächen – z.B. für Hochtemperaturanwendungen vor. Als zweites Ergebnis wurde im ifak eine numerische Methode etabliert, um sogenannte akustisch-chaotische Kavitäten zu dimensionieren und zu kalibrieren. Die Zulässigkeit und Leistungsfähigkeit der Methode wurde für drei relevanten Applikationen: 1. Füllstandsmessung (Prozessmesstechnik), 2. Fokussierung elastischer Wellen (Haptik) und 3. Manipulation von Partikeln im Freivolumen (Bioprozesstechnik) an Funktionsmustern experimentell nachgewiesen und ferner theoretisch die Eignung an numerischen Modellen zur Durchflussmessung und virtuellen dynamischen Schallfokussierung untersucht.
Auf Basis dieser aussichtsreichen Studien ist es geplant, industrielle Entwicklungs- und Forschungs-projekte (teils bereits in Beantragung) für die Bereiche Prozessmesstechnik, Haptik und Bioprozesstechnik umzusetzen. Direkte Anschlussthemen sind: akustischer Rührer&Pumpe, intelligente Durchflussmessung und HMI-Robotik.
Im Bereich der Haptik arbeitet (nach Kenntnis der Autoren) neben dem ifak nur eine Arbeitsgruppe in Frankreich an dieser Technologie. Wodurch die Weiterentwicklung dieses Verfahrens als äußerst aussichtsreich eingeschätzt wird.
Zukünftig ließen sich mit dem Zeitumkehr-Ansatz sowohl therapeutische Aspekte der Haptik bei niedrigen Frequenzen als auch prozesstechnologische Problemstellungen der Beeinflussung von fluiden Medien in Kontakt mit der (in Relation zur Wellenlänge) beliebig gekrümmten Grenzfläche realisieren.
Für die mittelständische Industrie ist die Technologie der akustischen chaotischen Kavitäten insbesondere bei der nicht-invasiven Überwachung und Beeinflussung von Flüssigkeitsprozessen von Interesse. Hiermit sind robuste Messsysteme zur Überwachung von Füllständen oder Durchflussmengen umsetzbar, die eine Adaption auf veränderliche Medienbedingungen erlauben.
Perspektivisch eröffnen die Untersuchungen zum „Schall-Reaktor“ oder „akustischen Rührer“ den Zugang zu dem umfangreichen Marktsegment der eingriffsfreien Beeinflussung von flüssigen Medien und Partikeln. Mit dem akustischen Rührer lassen sich Applikation in größeren Prozessvolumen und kleinen Mikroreaktoren (Bioreaktoren) umsetzen, um Mischvorgänge (ohne die katalytische Wirkung von i.d.R. metallischen Rührern) zu unterstützen oder Partikel gezielt für die Reaktion zu Positionieren. Die gezielte Positionierung und Einbringung von Partikeln bei der additiven Fertigung oder Extrusion von Kunststoffen ist ein weiteres Anwendungsgebiet.