Ziel der Entwicklung
Bei der Tiefenzerspanung mit schlanken Einlippentiefbohrern wächst die Gefahr großer Mittenverläufe mit steigendem Länge-zu-Durchmesser-Verhältnis der Bohrung an. Hauptursache sind vorliegende ungünstige Verhältnisse auf der Werkstückseite, zum Beispiel geringe Wanddicke und der mit wachsender Bohrtiefe zunehmende Steifigkeitsverlustes des Werkzeugschafts. Bereits seit vielen Jahren eingesetzte Verfahren zur Ermittlung des Mittenverlaufs sind das nachträgliche Vermessen der Bohrung beziehungsweise das indirekte Ultraschallverfahren zur Messung der Materialwanddicke zwischen der Ankoppelstelle des Prüfkopfs an der Werkstückaußenkontur und der zu ortenden Bohrung. Diese sind in der Praxis aufwändig und nur bei einfacher Werkstückgeometrie ausreichend genau. Für die Überwachung von Bohrvorgängen mit Einlippenbohrern fehlt es an robuster Sensorik. Gründe sind die extremen Randbedingungen wie Zugänglichkeit, Bauraum, konstruktive Anforderungen und Arbeitsgeschwindigkeiten. Kommerzielle Sensoren der Automatisierungstechnik erfüllen die hohen Messanforderungen für schlanke Schaftwerkzeuge geringer Durchmesser nur unzureichend. Dies hat zur Folge, dass die in der Tiefbohrfertigung entwickelten Verfahren zur Verlaufskorrektur bisher nicht auf schlanke Einlippenbohrer überführt werden können. Das betrifft insbesondere Schaftwerkzeuge mit Durchmessern, die kleiner als 40 Milimeter sind. Akteure in der spanenden Tiefbohrtechnik suchen daher dringend nach prozessintegrierten Messlösungen für eine präzise Erfassung von Positionsabweichungen zwischen Werkzeug- und Maschinenachse beim Bohren in das Werkstück. Ein vielversprechender Ansatz besteht in dem Einsatz von Faser-Bragg-Gitter-Sensoren. Diese optischen Dehnungssensoren zeichnen sich durch geringen Bauraumbedarf und hohe Messempfindlichkeit aus. Jedoch sind die am Markt verfügbaren Interrogatoren nicht dafür ausgelegt, die faseroptischen Sensoren synchron zum schnell rotierenden Werkzeug abzufragen. Wenn tiefbohrtypische Drehzahlen erreicht werden, treten durch die systembedingten großen Signallaufzeiten Messwertverfälschungen und Fehlmessungen bei der dynamischen Messung am umlaufenden Bohrer auf. Ziel des Vorhabens war deshalb die Entwicklung eines ultraschnellen Mess- und Auswertesystems für die Bestimmung des Mittenverlaufs an Einlippenbohrern im laufenden Tiefbohrprozess.
Vorteile und Lösungen
Der Lösungsansatz basiert auf Lichtwellenleitern aus Glas mit integrierten optischen Gittern als Messstellen, die lokale Dehnungen an der Faser mit hoher Empfindlichkeit detektieren. Die Sensorfaser mit bis zu 20 Faser-Bragg-Gittern wird in den Schaft des Einlippenbohrers entlang der Werkzeugachse eingebettet. Von einer stationären Quelle wird Messlicht über eine Freistrahlstrecke in das rotierende Werkzeug zur Beleuchtung der Faser-Gitter eingeleitet. Die an den Gittern reflektierenden Lichtwellen werden in Summe zurückgeführt, aufgefächert und auf einen Photosensor (Spektrometer) abgebildet. Aus den gemessenen Wellenlängenänderungen werden lokale Biegeauslenkungen an den Messstellen bestimmt, die bei Rotation und Achsfehler am Bohrerschaft enstehen. Dazu wird der zweite Lösungsansatz benötigt. Dieser basiert auf einer programmierbaren Hardware-Logik (FPGA), um die an den Messtellen erzeugten Wellenlängenverschiebungen zu bestimmen und nahezu verzögerungsfrei zu verarbeiten, um daraus Biegewerte zu berechnen. Im Ergebnis dieser Auswertung werden richtungsbezogene Auslenkungen zwischen Bohrer- und Maschinenachse für einen Umlauf des Bohrers ausgegeben, visualisiert und aufgezeichnet. Wesentliche Vorteile des faseroptischen Messgeräts sind die ultraschnelle Akquise sowie die parallele Verarbeitung von Faser-Bragg-Messdaten in Echtzeit und mit hoher Messfrequenz von 15 Kilohertz (kHz). Damit ist der Messeinsatz an schnell rotierenden Einlippenbohrern auch bei bohrtypischen Drehzahlen bis 10.000 Umdrehungen pro Minute möglich. Mit der entwickelten Messlösung für den simultanen, präzisen, zeitgesteuerten Mehrstellenmessbetrieb mit Faser-Bragg-Gitter-Sensoren liegen die messtechnischen Voraussetzungen für den Aufbau eines Regelkreises zur automatischen Verlaufskorrektur in Tiefbohrmaschinen und Bearbeitungszentren (BAZ) vor. Es lassen sich im Bohrprozess bereits beginnende Kursabweichungen des Werkzeugs erfassen und über ein Regelsystem verlaufskorrigierende Maßnahmen gezielt und kontrolliert für die jeweilige Einzelbohrung einsetzen.
Zielgruppe und Zielmarkt
Wesentliche Zielgruppen, welche direkt einen Nutzen aus den Ergebnissen des Projekts ziehen können, sind die Sensorhersteller. Potenzielle Nutzer sind hier die Anbieter von Hard- und Softwaresystem mit Bezug zu diskret aufgebauten optischen Sensoren für die Überwachung und Steuerung von dynamischen Fertigungsprozessen sowie für deren verzögerungsarme Signalauswertung. Diese können zusätzlich durch die Bereitstellung entsprechender Real Time-Hard- und Softwarelösungen ihr Portfolie für die Zustandserfassung in Maschinen und Anlagen erweitern und damit selbst kostengünstige Gesamtlösungen für unterschiedliche Prozesse bereitstellen. Die modulare Bauweise des Mess- und Auswertesystems erlaubt es, Standardkomponenten, beispielweise Lichtleitfasern, Lichtquellen, industrielle Kameras und Mikroobjektive, je nach Anforderung der Kunden zu integrieren und somit eine effiziente und kostensenkende Lösung für die Nutzer anzubieten. Eine weitere Zielgruppe für die Verwertung der Projektergebnisse bilden die Hersteller und Anwender von Präzisionswerkzeugen, welche die Produzenten aus der Branche der Präzisionswerkzeuge sowie Serien- und Lohntiefbohrer abbilden. Die anwendungsbezogenen Märkte der faseroptischen Prüflösung liegen in den Bereichen der spanenden, abtragenden und generierenden Fertigung. So sind beispielsweise Produzenten von Einlippentiefbohrern in der Lage, ihren Kunden geeignete sensorische Werkzeuglösungen für die Kontrolle des Bohrerverlaufs anzubieten. Künftig wird bei Einlippenbohrern mit aufgelötetem Hartmetall-Schneidkopf, Wendeschneidplatte und in Voll-Hartmetall-Ausführung eine wesentliche Ausschussursache bei der Realisierung von Präzisionsbohrungen mit großen L/D-Verhältnissen beseitigt und damit die Fertigungskosten für die Bearbeitung komplexer Werkstücke deutlich reduziert. Das entwickelte Messgerät zur Erfassung des Mittenverlaufs pro Bohrtiefe wird in der Tiefenzerspanung besonders wichtig, wenn Kleinserien und Unikate mit komplizierten Bohrungsanordnungen zu fertigen sind. Die bisher bei formkomplizierten Werkstücken und bei Teilen mit sich kreuzenden Bohrungen starre Bearbeitungsreihenfolge kann fortan flexibler gestaltet werden. Die Sonderanlagen- und Werkzeugmaschinenbauer bilden eine weitere Zielgruppe. Diese umfasst die Akteure, die Tiefbohrmaschinen, Tiefbohr-Fräszentren und CNC-Bearbeitungszentren mit Tiefbohraufgaben (BAZ) für die spanende Bauteilfertigung entwickeln und bauen. Mit der Integration messtechnischer In situ-Lösungen wird es künftig möglich sein, Werkzeugmaschinen für das Tieflochbohren mit Mess- und Regelungstechnik zur Kompensation des Mittenverlaufs zu realisieren und am Markt anzubieten. Es ist nicht nur möglich, eine komplette Qualitätsüberwachung zu gewährleisten. Vielmehr bieten sie zunehmend die Möglichkeit, mittels der Vernetzung von Mess- und Steuerungstechnik Maschinen flexibler zu gestalten und gleichzeitig den Automatisierungsgrad und damit die Produktivität zu erhöhen. Die Zielmärkte sind alle Branchen und Märkte, in denen faseroptische Faser-Bragg-Messtechnik zur Produktentwicklung, Prozessüberwachung und Qualitätsprüfung entwickelt, angeboten oder angewendet wird. Damit ergeben sich im Wesentlichen die Zielmärkte der Sensorik, der faseroptischen Systeme, der Fertigungstechnik und der Werkzeugmaschinen. Die Serienherstellung des Messgeräts sowie die Anwendung der Mittenverlaufssensorik sollen in Drittunternehmen erfolgen. Eine Kooperation wird sowohl mit etablierten Herstellern von FBG-Interrogatoren, Serienproduzenten von Präzisionswerkzeugen als auch Sonderanlagen- und Werkzeugmaschinenbauer angestrebt. Am ITW e. V. Chemnitz werden durch Folgeprojekte im Forschungs- und Entwicklungsbereich zur Anwendung und Weiterentwicklung der Messlösung vorhandene Arbeitsplätze gesichert und voraussichtlich zwei neue Arbeitsplätze zur Erweiterung der Geschäftsfelder der Optischen Messtechnik und der Fertigungstechnik geschaffen.