Ziel der Entwicklung
Die Regelung und Steuerung industrieller Prozesse ist immer an eine Überwachung des Ist-Zustandes durch Sensoren gebunden. Sollen Systeme vernetzt werden und autonom agieren, müssen geeignete Sensoren integriert werden. Sensoren können dann als geeignet angesehen werden, wenn sie sich durch eine hohe Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit im Betrieb auszeichnen. Ein Großteil der heute eingesetzten Sensoren beruht auf siliziumbasierten Messelementen. Diese Art von Messelementen verlangt eine hochspezialisierte Aufbau- und Verbindungstechnik (AVT), um zu ausfallsicheren Sensoren zu gelangen. Als wesentliche Anforderungen sind hier hermetisches Versiegeln, sowie temperaturstabile und ausgasungsfreie Fügeverbindungen zu nennen. Gleichzeitig dürfen während des Fügeprozesses die Bauteile, insbesondere die Messelemente, nicht durch hohe Temperaturen geschädigt werden. Die neue Fügetechnologie des „Reaktiven Lötens“ kann diese Anforderungen erfüllen. Beim „Reaktiven Löten“ dient eine nanoskalige reaktive Multischicht (RMS) als Wärmequelle im Lötprozess. Die RMS zeichnet sich dadurch aus, dass es nach Eintrag einer Zündenergie zu einer selbsterhaltenden exothermen Reaktion kommt. Der zum Löten benötigte Wärmeeintrag wird dabei nur sehr lokal und kurzzeitig erzeugt, der Lötprozess ist daher in Millisekunden abgeschlossen. Das Löten kann damit quasi bei Raumtemperatur erfolgen. Der Zündvorgang bestimmt in diesem Kontext wesentlich die Qualität der Fügeverbindung. Durch das Auslösen der exothermen Reaktion in einem Punkt der RMS kommt es beim Fortschreiten der Reaktion zum gleichzeitigen Vorliegen von flüssigen und festen Phasen von RMS und Lot. Da der Fügeprozess unter Druck stattfinden muss, kann ein unkontrollierter Stabilitätsverlust im Fügestapel die Folge sein. Dies führt zum Verkippen des oberen Fügepartners, ungleichmäßige Ausbildung der Lotschicht oder Mikrorisse im Material des Fügespalts. Die Lösung dieses Problems liegt in einer designorientierten, optimierten Initiierung des Reaktionsvorgangs, bei dem die Stabilität des Fügestapels erhalten bleibt. Projektidee war daher die Entwicklung eines Systems zur anforderungsoptimierten Erzeugung der Zündenergie für das reaktive Löten. Über einen optimalen Zündvorgang soll eine Minimierung der notwendigen Zündenergie und Zündpositionen bei gleichzeitiger Erhaltung der mechanischen Stabilität bei Vorliegen flüssiger und fester Phasen erfolgen. Dafür waren die notwendigen Voraussetzungen, wie das Beschreiben der Ausbreitung der Reaktionsfront durch Reaktions-Diffusionsgleichungen, die materialabhängige Ermittlung der Zündenergie und Strategien zur Synchronisierung mehrerer Zündpositionen zu schaffen.
Vorteile und Lösungen
Moderne digitale Fertigungsprozesse erfordern den zunehmenden Einsatz sensibler Sensorik sowie generell mechatronischer Komponenten in immer extremeren Betriebsumgebungen (Staub, Druck, Temperatur), welche der Prozesssicherheit und Lebensdauer dieser Bauteile/-gruppen diametral entgegenstehen. Üblicherweise werden deshalb empfindliche Bauelemente durch entsprechende Hausungen geschützt. Infolge fügetechnisch komplizierter Fügepartner wie beispielsweise Keramik-Metall-Paarungen haben sich aus verbindungstechnischer Sicht einige Verfahren, beispielsweise das Löten mittels Glaslot, am Markt durchgesetzt. Infolge der steigenden Einsatzparameter, wie zum Beispiel Temperaturen bis 600 Grad Celsius, sind diese Fügeverfahren nicht mehr geeignet. Klassische Verfahren wie das konventionelle Hartlöten wiederum zerstören infolge hoher Fügetemperaturen bei einer großen Wärmeausbreitung im Fügeprozess die empfindlichen elektronischen Komponenten. RMS bieten das Potenzial, die für die Fügung notwendige Wärmemenge genau anzupassen. Es ist keine Volumenerwärmung nötig, die Fügezeit beträgt nur wenige Millisekunden und ist damit äußerst materialschonend. Mit dem entwickelten Zündsystem für das reaktive Löten wird eine präzise und feste Verbindung der Fügepartner ermöglicht. Der RMS neigt zur Rissbildung unter Druck. Für ein erfolgreiches Gelingen der Fügung ist der Druck allerdings von entscheidender Rolle, so dass nicht darauf verzichtet werden kann. Durch die genaue Untersuchung der Reaktionsfront und der damit verbundenen Flüssigphase des Lots ist es möglich, räumlich große Fügeflächen ohne ein Verkippen zu verbinden. Auch für kleine Fügeflächen sind wichtige Erkenntnisse gesammelt wurden. Hier spielen die Zündpositionen eine genauso wichtige Rolle, um ein Verkippen des Fügestapels zu verhindern. Eine symmetrische Auslösung des RMS ist vorzuziehen. Weiterhin hat sich eine neue Lösungsvariante für die so wichtige Hermetizität ergeben. Das RMS muss dafür anders strukturiert werden. Eine in der inneren der RMS-Kontur liegende Beschichtung mit Lot erfüllt die Anforderungn. Zuvor erzielte Erkenntnisse der RMS-Fügetechnologie sind von entscheidender Bedeutung für die Hermetizität. Das Design des RMS und das dazugehörige Zündmuster ist eines der wichtigen Parameter für eine gute Verbindung. Es wurden die Parameter ermittelt, um ein bestimmtes RMS auszulösen. Die Orientierung am unteren Grenzwert für die Auslösung macht ein industrielles Fertigungsverfahren schneller und ressourcenschonender. Besonders war die erfolgreiche Entwicklung des Synchronzündsystems für mehrere separate Fügepunkte zu nennen. Hierbei konnte gewährleistet werden, dass die zeitgleiche Flüssigphase der RMS-Reaktanzen für alle Kontakte sichergestellt werden, so dass eine betriebssichere Fügung der Bauelemente mit mindestens zwei Kontakten gewährleistet werden kann. Die implementierte Detektion des Zündimpulses beruht auf einer innovativen Eigenentwicklung. Zusammen mit einer Detektion der reagierenden RMS Strukturen mittels Infrarotempfängerdioden kann eine Prozessüberwachung für das RMS-Fügen aufgebaut werden. Ob alle Elektroden gezündet haben und das RMS überall reagierte, kann direkt nach dem Abschließen des Fügeprozesses getroffen werden und somit an das übergeordnete Qualitätsmanagement weitergeleitet werden. Dies gilt als wichtige Voraussetzungen für den Einsatz in den kleinteiligen und multivariaten Produktionszyklen der Industrie 4.0.
Zielgruppe und Zielmarkt
Reaktive Multischichten in ihrer Ausprägung als dünne Folien sind eine Klasse hochenergetischer Materialien die sich aufgrund ihrer vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten als Fügematerial, Energiequelle und Zündvorrichtung großen Interesses erfreuen. Im FuE-Projekt wurden die reaktiven Multischichten als lokale Wärmequelle in einem Lötprozess eingesetzt. Der größte Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass eine hohe Wärmemenge in kürzester Zeit freigesetzt wird und die Wärmeausbreitung in die Bauteilumgebung gering ist. Daraus leiten sich die Zielgruppen ab. Es sind Anwender, welche thermisch sensible Bauteile/-gruppen sicher fügen müssen. Weiterhin bietet das Verfahren große Vorteile, wenn Werkstoffpaarungen mit sehr unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten spannungsfrei gefügt werden sollen. Das betrifft vor allem Keramik/Metall Paarungen. Ihre Anwendungen gehen von Keramiken als Schneidstoff über Keramiken als elektrochemische Energiespeicher oder als Energieträger, bei denen eine Kombination mit einem metallischen Werkstoff zur Erhöhung der dynamischen Festigkeit notwendig ist.
Zu den erreichten technischen Zielparameter zählen: Synchronisation von mindestens zwei unabhängigen Zündpositionen/ Parallelität der Fügepartner besser als 10 Mikrometer/ verschleißfrei bis zu 1 Mio. Zündungen/ für verschiedene RMS/Lot-Kombinationen einsetzbar/ integrierbar in Handhabungseinrichtungen. Sie bilden die Voraussetzung zur Integration der entwickelten Technologie in industrielle Fertigungseinrichtungen zum sicheren Fügen thermisch sensibler Bauteilen/-gruppen. Beispiele sind Hausungen für elektronische Bauteile, Sensoren und generell mechatronische Baugruppen. Mit der realisierbaren industriellen Herstellung von Temperatursensorik bis 600 Grad Celsius sowie von temperaturbelastbarer Elektronik lassen sich erhebliche Potenziale bezüglich der Anwendbarkeit, Qualität und Wirtschaftlichkeit erschließen. Mit der entwickelten Technologie und dem erarbeiteten Fertigungskonzept ist es möglich, prozessintegrierte fügetechnische Lösungen für unterschiedliche Applikationen und Branchen zu realisieren, die gleichzeitig Forderungen an Robustheit, Lebensdauer (Einsatz), Taktzeitfähigkeit und Zugänglichkeit (Herstellung) erfüllen.