Ziel der Entwicklung
Im Umfeld der Energiewende können verschiedene Fragestellungen nur durch den Einsatz komplexer Simulationsmodelle beantwortet werden, darunter zum Beispiel die folgenden Problemstellungen:
- Zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels müssen notwendige CO2-Reduktionspfade durch Klimamodelle mit verschiedenen Szenarien bestimmt werden.
- Im Kontext einer sich durch den Atom- und Kohleausstieg sowie durch den Ausbau erneuerbarer Energien verändernden Energieerzeugungslandschaft in Deutschland, muss das deutsche Stromnetz erweitert werden. Hierfür werden Simulationen durchgeführt, um die Netzstabilität zu beurteilen.
- Gekoppelte industrielle Energiesysteme mit der Erzeugung von Strom, Wärme, Kälte und Dampf müssen optimal betrieben werden, wobei als Nebenbedingung unter anderem die Mindestlaufzeiten der Anlagen oder Anfahrkosten zu beachten sind.
- Im Rahmen eines systematischen Energiemanagements nach ISO 50001 gilt es, Energieeinsparpotenziale zu identifizieren, um die richtigen Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz einzuleiten.
Sämtliche Modelle werden durch die Erhebung teils umfangreicher Messdaten parametriert und validiert. Bevor die Messdaten, welche meist in Form von Zeitreihen vorliegen, im Modell verwendbar sind, müssen sie vorverarbeitet werden. Die Zeitreihen müssen gefiltert, komprimiert, ergänzt und adaptiert werden.
Ziel des Vorhabens war es, diesen Schritt besser durch Software zu unterstützen, indem benutzerorientierte Zeitreihenverfahren zur Energiesystemanalyse entwickelt werden. Dazu waren neue Grundverfahren zur Verarbeitung verschiedener Zeitreihentypen zu entwickeln sowie klassische Verfahren der Zeitreihenanalyse aus den Bereichen Ökonomie und Signalverarbeitung zu adaptieren und zu implementieren. Zum Teil sollten verschiedene dieser Verfahren zu Spezialverfahren kombiniert werden. Ein Hauptziel der Implementierung war es, dass ein Ingenieur die entwickelten Verfahren auch ohne detaillierte Kenntnisse der zugrunde liegenden mathematischen Algorithmen anwenden und damit nachvollziehbare Ergebnisse erzielen kann. Die Bedienbarkeit und Benutzerfreundlichkeit der Software stellten ein wesentliches Anforderungskriterium dar.
Die entwickelten Verfahren sollten typische Problemstellungen bei der Vorverarbeitung von Messdaten im Kontext der Energiesystemanalyse behandeln. Dies beinhaltete die Ergänzung fehlender Daten, die zum Beispiel aufgrund des Ausfalls eines Datenloggers nicht erstellt wurden. Extrapolationsverfahren sollten dazu verwendet werden, zukünftige Daten wie Energieverbräuche, über Messdaten aus der Vergangenheit zu prognostizieren. Neue Syntheseverfahren sollten der Erzeugung eines realistischen Jahresverbrauchs für Strom oder Wärme aus den Messdaten einzelner Typtage dienen. Technische Parameter oder Nebenbedingungen wie Gleichzeitigkeitsfaktoren, sollten in die Synthese mit einfließen. In Klimamodellen, bei der Stromnetzsimulation oder bei der Betriebsoptimierung von Energiesystemen ist es erforderlich, die vorhandenen hochaufgelösten Daten zu komprimieren, da die zugehörigen Modelle sehr rechenintensiv sind. Hier sollten mathematisch fundierte Clustering-Verfahren zum Einsatz kommen.
Das Vorhaben sollte einen wichtigen Beitrag zum Big Data Management für Energiesysteme liefern. Es sollte die effiziente Aufbereitung umfangreicher Messdaten erlauben und damit die Ausgangsbasis für weitergehende Analysen schaffen.
Vorteile und Lösungen
Mit dem Ziel, damit typische Aufgaben für energietechnische Messdaten zu bearbeiten, wurde in dem Projekt eine Verfahrensbibliothek für die Zeitreihenanalyse entwickelt. Den Ausgangspunkt bildet eine in C++-implementierte Klassenbibliothek, welche unterschiedliche Zeitreihentypen als Datenobjekte enthält.
Um einfache Rechnungen mit den Zeitreihen zu ermöglichen, gibt es ferner ein Algebra-Paket, welches arithmetische Operationen und Synchronisationsverfahren für Zeitreihen mit unterschiedlichen Zeitpunkten beinhaltet.
In einen weiteren Programmteil wurden bekannte mathematische Verfahren aus der Signalverarbeitung und der Statistik implementiert, um Kenngrößen wie Mittelwert und Varianz zu berechnen oder saisonale Komponenten wie Jahres-, Wochen- und Tagesverläufe mittels Fourieranalysis zu bestimmen.
Spezielle Verfahren, die mit Zeitreihen operieren, wurden in einem gesonderten Softwarepaket zusammengefasst. So wurde ein neuartiges Verfahren zur Fehlstellenergänzung entwickelt und implementiert, welches auch zur Prognose über einen kürzeren Zeitraum eingesetzt werden kann. Sind nur wenige Messdaten in Form von saisonalen Typtagen vorhanden, so ermöglicht ein neues Syntheseverfahren die Berechnung eines realistischen Jahresverlaufs bei vorgegebenen Monatsintegralen. Weitere Verfahren dienen dem Lastsplitting oder der Kompression (Clustering) von Messdaten.
Alle Verfahren wurden in den Zeitreiheneditor ETA integriert und mit grafischen Benutzerschnittstellen versehen. Anwender können die Methoden benutzen, ohne dass ein Verständnis der zugrunde liegenden mathematischen Algorithmen erforderlich ist. Die Anbindung der Verfahrensbibliothek an den Zeitreiheneditor erfolgte über eine einheitliche Programmierschnittstelle (API), welche es prinzipiell erlaubt, die implementierten Zeitreihenverfahren in andere Systeme zu integrieren.
Zielgruppe und Zielmarkt
Während der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze immer weiter voranschreitet, sind in den letzten Jahren weitere Themen ins Blickfeld gerückt. Dazu gehören der Kohleausstieg und die Elektromobilität im Rahmen der Verkehrswende.
Derzeit ist unklar, ob Deutschland seine ambitionierten Klimaschutzziele für 2020 und 2030 einhalten kann (Verminderung der CO2-Reduktion um 40 Prozent, beziehungsweise 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990). Die politischen Anstrengungen gegen den Klimawandel werden verstärkt. Dies befördert die Verwertung der Ergebnisse, da die Messung und Auswertung energietechnischer Daten weiter an Bedeutung gewinnen.
Die Aufbereitung, Analyse und Auswertung energietechnischer Daten ist zu einer zentralen Aufgabe geworden. Der Zielmarkt für die entwickelte Verfahrensbibliothek ist sehr groß. Konkret sollten sich folgende Unternehmensgruppen für die Vorhabensergebnisse interessieren:
1. Energiedienstleister: Dazu zählen hauptsächlich kleine und mittelständische Energieberatungsunternehmen. Diese beraten Hausbesitzer, Industrie und Gewerbe bezüglich möglicher Energieeffizienzmaßnahmen. Energieberatungen sind die am häufigsten angebotene und nachgefragte Energiedienstleistung. Nach einer Hochrechnung des BMWi wurden im Jahre 2016 etwa 440.000 Beratungen mit einem Marktvolumen von 1 bis 1,25 Mrd. Euro durchgeführt. Trotz einer hohen Wettbewerbsintensität blicken die Anbieter von Energieberatungen überwiegend optimistisch in die Zukunft.
2. Stadtwerke: In Deutschland agieren über 1.000 Stadtwerke auf dem Strommarkt. Sie sind häufig eng mit den Kommunen verflochten und sind neben den großen Energieunternehmen ein wichtiger Akteur auf dem Energiemarkt.
3. Energiekonzerne: Aus den Unternehmen RWE und E.ON sind 2016 Innogy und Uniper durch Abspaltung hervorgegangen. Dabei wurde jeweils die Strategie verfolgt, die Kompetenzen für Netze und Stromerzeugung durch erneuerbare Energien gegenüber konventioneller Energieerzeugung in einem eigenen Unternehmen zu bündeln. Ferner gehören Vattenfall und EnBW zu den überregionalen Energieversorgern.
4. Großunternehmen: Große Industriekonzerne besitzen eigene Abteilungen, die sich mit der Energieversorgung und Energieeffizienz beschäftigen. Dazu gehören vor allem die in Deutschland ansässige Automobil-, Chemie- und Pharmaindustrie.
5. Institutionen des öffentlichen Sektors: Diese sollen eine Vorbildfunktion bei der Verbesserung der Energieeffizienz einnehmen und bilden damit eine wichtige Zielgröße für Energiesystemanalysen im Gebäudebereich.
6. Universitäten und Forschungseinrichtungen: Verbunden mit der globalen Herausforderung zur Bekämpfung des Klimawandels hat die Bundesregierung verschiedene Förderprogramme aufgelegt. Universitäten und Forschungseinrichtungen werden ermuntert, auf diesem Gebiet zu forschen. Die Auswertung und Bearbeitung energietechnischer Daten ist eine wichtige Voraussetzung für Simulationen und Berechnungen innerhalb dieser Forschungsfelder.
Der Zielmarkt für Zeitreihenverfahren ist in Deutschland immens. Bezogen auf den europäischen Markt sehen die Gegebenheiten ähnlich aus, da viele der in Deutschland geltenden Verordnungen aus EU-Richtlinien hervorgehen.
Transfer und Vermarktung der Zeitreihenbibliothek erfolgen auf verschiedenen Wegen:
1. Integration in den Zeitreiheneditor ETA. Die Verfahren wurden in den Zeitreiheneditor ETA eingebunden und mit grafischen Nutzerschnittstellen versehen. Der Editor gewinnt damit deutlich an Funktionalität und wird für Neukunden noch attraktiver. Zeitreihen können nun in einer anwenderfreundlichen Umgebung importiert, visualisiert, verarbeitet und exportiert werden.
2. Integration in TOP-Energy. Der Zeitreiheneditor ist an TOP-Energy angebunden. Hierbei handelt es sich um eine Simulations- und Optimierungssoftware für industrielle Energiesysteme. Die Software enthält energietechnische Komponentenmodelle, die bausteinartig zu einem Gesamtmodell verschaltet werden können. Als Eingabe- und Ausgabeparameter spielen Zeitreihen eine wichtige Rolle.
3. Vertrieb als Softwarebibliothek zur Anbindung an fremde Softwaresysteme. Die Verfahrensbibliothek kann über die geschaffene Schnittstelle (API) in andere Systeme als DLL integriert werden.
4. Integration in Forschung und Lehre. Im Rahmen von verschiedenen Forschungsprojekten sind diverse Partnerschaften mit Universitäten und Forschungseinrichtungen entstanden, beispielsweise mit der RWTH Aachen und dem Fraunhofer UMSICHT. Die entwickelte Verfahrensbibliothek soll in Forschung und Lehre integriert werden. Auf diese Weise lernt der Ingenieurnachwuchs die Bearbeitung praxisnaher Fragestellungen mit geeigneten Softwaretools. Zugleich werden das Wissen und die Kenntnisse über die Zeitreihenverfahren ins spätere Berufsleben transportiert.
Besonders die Integration in TOP-Energy wird den Transfer der Zeitreihenbibliothek begünstigen, da es bereits jetzt eine Vielzahl von Kunden gibt, die auf die Dienste der Simulationssoftware zurückgreifen.