Ziel der Entwicklung
Nachhaltige Materialentwicklungen ohne Einbußen beim Design und Komfort sind seit einigen Jahren ein wesentlicher Innovationstreiber bei der Herstellung von Verkleidungsteilen im automobilen Innenraum. Sichtbare Naturfasern sind ebenso Stand der Technik wie druckelastische Bauteile. Bislang war es aber noch nicht möglich, beides ansprechend miteinander zu kombinieren, sodass Bauteile mit sichtbaren Naturfaseroberflächen eine ebenso harte Oberfläche aufweisen wie einfache, genarbte Spritzgussbauteile. Wohingegen Bauteile mit angenehmen soft-touch Eigenschaften aus Mehrstoffsystemen aufgebaut sind, welche häufig nur mit erheblichem Kosten- und Energieaufwand gefertigt werden können und deren Materialien (PVC-Slushhäute, isocyanatbasierte Schäume) sich nur schwer mit den Nachhaltigkeitszielen vereinbaren oder gar recyceln lassen.
Im Rahmen des Vorhabens wurden daher Prozesse und Lösungswege untersucht, Naturfaser-Interieurbauteile mit druckelastischen Dekorschichten für verschiedene Einsatzgebiete nachhaltiger zu gestalten, um kritische Materialien wie PVC oder isocyanatbasierte Schäume in Interieurbauteilen (beispielsweise in Türverkleidungen, Instrumententafel etc.) durch naturfaserbasierte Vliesstoffe als soft-touch Elemente zu ersetzen. Dies ermöglicht es auch, hochwertige Naturfasern als Sicht- oder Dekorelemente einzusetzen, ohne dabei auf den Komfort und die soft-touch Eigenschaften von Bauteiloberflächen zu verzichten.
Weitere wichtige Ziele waren ein gleichbleibendes Bauteilgewicht (im Vergleich zum derzeitigen Standard) unter Berücksichtigung der mechanischen Anforderungen, die Nutzung vorhandener Anlagentechnik und Prozesse, die Erfüllung der hohen Anforderungen bezüglich Echtheit und Beständigkeit der Bauteiloberfläche durch den Einsatz automobiltauglicher PP-Folien.
Durch die stoffliche Homogenität (PP und Naturfasern im Träger, der soft-touch Schicht und der Dekorfolie) können die Bauteile am Ende ihrer Nutzungsphase mit einem wirtschaftlich konkurrenzfähigen Verfahren werkstofflich recycelt werden (beispielsweise durch Regranulierung und Compoundierung zu spritzgießfähigen Kunststoffgranulaten) und als Ausgangsmaterial für vielfältige Anwendungen wie zum Beispiel dem Hinterspritzen von Naturfaserbauteilen wieder eingesetzt werden.
Vorteile und Lösungen
Zur Herstellung der druckelastischen Schichten kamen bekannte Vliesbildungsverfahren wie beispielsweise die Krempeltechnologie mit anschließender Vernadelung zum Einsatz. Eine weitere Variante ist die Nutzung der Airlaidtechnologie zur Herstellung von Vliesen auf Basis cellulosischer Kurzfasern (Zellstoff), auch in Kombination mit PES-basierten Fasern.
Durch die gezielte Auswahl der Fasern von groben Naturfasern wie Kenaf über Flachsfasern bis hin zu feinen Zellstofffasern und die Kombination mit geringen Anteilen an PES-Fasern, lassen sich die druckelastischen Eigenschaften und das Eindruckverhalten gezielt beeinflussen, wobei im Hinblick auf das Gesamtbauteilgewicht die druckelastische Schicht maximal 400 Gramm pro Quadratmeter aufweisen sollte.
Die erforderliche Beständigkeit der Oberflächen wird durch die Auswahl einer geeigneten PP-Dekorfolie (Standardfolien für automobile Anwendungen) erzielt. Je nach Wunsch ist diese für die Naturfaseroptik auch transparent/transluszent. Die druckelastische Vliesschicht wird anschließend in einer Doppelbandpresse mit der Dekorfolie kaschiert. Dieses Verfahren stellte sich im Rahmen des Vorhabens aufgrund der besseren Temperatur- und Druckverteilung als besonders geeignet heraus.
Die Trägerkaschierung erfolgt im Pressverfahren. Dadurch lassen sich zusätzliche Werkzeug- und Prozesskosten im Vergleich zu den etablierten Verfahren (Slushhautherstellung und Hinterschäumen) einsparen. Dabei ist (verglichen mit der Herstellung eines Standardnaturfaserträgers) die Anpassung des Werkzeugspaltes sowohl in den Flächen als auch an den Flanken und Kanten zu berücksichtigen, um die druckelastische Schicht während des Konsolidierens nicht zu schädigen.
Um die mechanischen Anforderung an die Bauteile zur erfüllen, sind bei Reduzierung der Trägerflächenmasse Anpassungen der Materialzusammensetzung notwendig. Vorteilhaft sind unter anderem cellulosische Kurzfaserverbunde und der Einsatz von haftvermitteltem PP.
Im Rahmen der Arbeiten wurde eine weitere Möglichkeit zur Erzeugung von naturfaserbasierten Oberflächen untersucht. Vorteil dieser Variante ist, dass nur partiell druckelastische Bereiche direkt aus dem Trägermaterial erzeugt werden. Dadurch tritt die geforderte Weichheit nur noch an den erforderlichen Stellen auf (beispielsweise im mittleren Bereich einer Türverkleidung), ohne hierfür spezielle Einsätze oder Einleger verwenden zu müssen. Dieses Verfahren verlangt jedoch eine genaue Temperaturführung und ein exaktes Positionieren während des Aufheiz- und Pressvorgangs.
Bereits während der Durchführung des Vorhabens wurde berücksichtigt, dass durch die Nutzung und Anpassung etablierter Verfahren und Prozesse eine Überführung der Ergebnisse auf industrielle Anlagen zeitnah und ohne hohe Investitionen erfolgen kann.
Aufgrund der Materialbasis (Natur- oder Cellulosefasern, PP und gegebenenfalls PES-Fasern) können sowohl die Produktionsabfälle als auch die Bauteile am Ende ihrer Nutzungsdauer recycelt werden. Dazu werden diese geshreddert, compoundiert und stehen anschließend als spritzgießfähiges Material für neue Anwendungen, beispielsweise zum Hinterspritzen von Naturfaserträgern wieder zur Verfügung. Auch hierbei werden etablierte Verfahren eingesetzt.
Zielgruppe und Zielmarkt
Zielmarkt für die Entwicklungen ist der Automobilbereich, hier insbesondere das Segment der Innenraumverkleidung. Die Ergebnisse fügen sich in die Nachhaltigkeitsstrategien der OEMs ein und tragen zur Erreichung ihrer Nachhaltigkeitsziele bei, indem keine gesundheitlich und ökologisch bedenklichen Materialien und Stoffe verwendet und ein recyclinggerechtes Materialdesign ermöglicht werden.
Insbesondere deutsche und europäische Automobilhersteller setzen bereits seit den 1990er Jahren erfolgreich Naturfaserverbunde für Interieurbauteile ein, so dass sich hier über Jahre ein stabiler Markt entwickeln konnte. Zudem beobachtet man seit einigen Jahren auch verstärkte Aktivitäten auf dem asiatischen und US-amerikanischen Markt.
Neben dem Automobilsektor als Haupteinsatzgebiet ist eine Nutzung der Vorhabensergebnisse darüber hinaus auch in der Möbelindustrie vorstellbar, insbesondere im hochinnovativen Bereich der „Selbstbaumöbel“ und dem Mitnahmemarkt, um Leichtbau (mit Blick auf den Transport der Möbel) und Design miteinander zu vereinen.
Aufgrund der umfangreichen Erkenntnisse, die das TITK in den vergangenen 25 bis 30 Jahren auf dem Gebiet der Naturfaserverbunde gesammelt hat, und den zahlreichen daraus resultierenden Kontakten zu wichtigen Unternehmen der Automobilindustrie ergeben sich direkte Möglichkeiten, die gewonnenen Erkenntnisse einem entsprechendem Kreis an potentiellen Nutzern durch persönliche Vorstellung der Ergebnisse und des neuen Produktes zu präsentieren. Hierzu sollen unterschiedliche Wege genutzt werden, um die Ergebnisse einem möglichst breiten Fachpublikum und potenziellen Nutzern zugänglich zu machen:
Persönliche Ansprache von Unternehmen und Vertretern aus dem potentiellen Nutzerkreis unter Einbeziehung des Kundenstamms des TITK; Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Newslettern der Kunststoff- und Automobilbranche sowie weiteren potentiellen Nutzerkreisen (Vliesstoffindustrie, Möbelindustrie); Vorstellung der Vorhabensergebnisse auf Fachtagungen und bei Netzwerktreffen wie dem Arbeitskreis „Naturfaserverstärkte Kunststoffe“ der AVK oder dem Automotive Thüringen; Veröffentlichung der Ergebnisse auf den Internetseiten des TITK.
Beim Ergebnistransfer, hier insbesondere im Rahmen von Industrieversuchen, treten häufig weitere Fragestellungen auf, welche entweder in direkter Zusammenarbeit mit den Unternehmen bearbeitet werden oder aus denen sich thematische Schwerpunkte für weitere Forschungsvorhaben ergeben. Bezogen auf das abgeschlossene Vorhaben sind dies beispielsweise Fragestellungen zur Optimierung der mechanischen Eigenschaften des Trägers bei reduzierter Flächenmasse oder weiterführende Untersuchungen zum Recycling, den daraus resultierenden Materialeigenschaften und möglichen Einsatzgebieten.
Aufgrund des zeitlichen Vorlaufs bei der Entwicklung neuer Materialien und Konzepte in der Automobilbranche existieren zum aktuellen Zeitpunkt noch keine Anwendungsbeispiele in neuen Serien.