Ziel der Entwicklung
Schwerpunkt des FuE-Vorhabens bildete die Untersuchung des Einflusses der Deviationsmomente in Wechselwirkung mit den Hauptträgheitsmomenten auf das Bewegungsverhalten eines Schiffes in schräganlaufendem Seegang. Für verschiedene Schiffsformen sollten hierzu zunächst umfangreiche numerische Untersuchungen erfolgen. Nachfolgend sollten die Ergebnisse dieser Untersuchungen labortechnisch verifiziert werden. Zu diesem Zweck war es erforderlich einen für Glattwasserfahrt entwickelten Fahrt- und Kursregler für Seegangsbedingungen bei Fahrt in Wellen unterschiedlicher Anlaufrichtung weiterzuentwickeln und zu erproben. Ein weiterer Schwerpunkt des FuE-Vorhabens bestand in der Entwicklung eines numerischen Verfahrens, das es ermöglicht, die optimale Massenverteilung eines Labormodells unter Berücksichtigung sämtlicher vorgegebener Trägheitskenngrößen einschließlich der Deviationsmomente zu berechnen und visuell darzustellen. Damit sollte erreicht werden, dass der bisher hohe Zeitaufwand zur Eintrimmung eines Labormodells für Seegangsversuche um ein Vielfaches verkürzt wird. Das Verfahren sollte derart strukturiert werden, dass auf Basis eines CAD-files vom Innenraum eines Labormodells alle erforderlichen Geräte, Ausrüstungselemente und Trimmgewichte nach entwickelten Optimierungsalgorithmus angeordnet werden und nach Berechnung der Eigenträgheitsmomente die Ist-Werte mit den Sollwerten automatisch verglichen werden. Im Ergebnis dieser Simulation wird eine Trimmtabelle bereitgestellt, nach der das Labormodell exakt den entsprechenden Vorgaben ohne weitere aufwendige Korrekturen eingetrimmt werden kann. Ein visueller 3D-Plot soll dabei den Eintrimmvorgang unterstützen. Im Ergebnis des FuE-Vorhabens sollten gesicherte Ergebnisse vorliegen unter welchen Bedingungen und in welchen Bereichen die Deviationsmomente auf das Bewegungsverhalten eines Schiffes maßgeblichen Einfluss haben und zukünftig berücksichtigt werden müssen. Weiterhin sollte ein Optimierungsprogramm zur Eintrimmung eines Labormodells unter Berücksichtigung sämtlicher Trägheitsgrößen vorgestellt und ein neues Laborversuchsverfahren für freifahrende computer-gesteuerte Modelle im Seegang unterschiedlicher Kursrichtungen zur Verfügung stehen, mit dem definierte Messfahrten ohne subjektive Beeinflussung im Seegang durchgeführt werden können. Damit wird eine Kosten- und Zeiteinsparung für Seegangsversuche sowohl bei der Versuchsvorbereitung als auch bei der Versuchsdurchführung bei erhöhter Messgenauigkeit erzielt. Damit kann die Wettbewerbsfähigkeit und Kundenbindung der SVA weiter gestärkt werden. Einsparungen an Zeit und Kosten wirken sich wiederum auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Kunden aus.
Die Zielstellung des Vorhabens fügt sich in das Leistungsspektrum der SVA ein und setzt eine der Entwicklungsrichtungen langjähriger Forschungstätigkeit auf dem Gebiet der praxisnahen Anwendbarkeit numerischer Simulationen und verbesserter Laborversuchsmethodik konsequent fort.
Vorteile und Lösungen
Im Rahmen des abgeschlossenen Forschungsvorhabens wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem die Massenverteilung eines zu trimmenden Labormodells bereits bei Vorlage der erforderlichen hydrostatischen und Trägheitsgrößen eines hydrodynamisch zu untersuchenden Schiffes ermittelt werden kann, so dass die Schwimmlage, der Massenschwerpunkt und die Trägheitsmomente, einschließlich der Deviationsmomente den Vorgaben entsprechen. Durch eine Visualisierung der erforderlichen Geräte- und Antriebstechnik sowie der notwendigen Trimmgewichte nach bekannten Hauptabmessungen kann die Massenverteilung im Labormodell optimiert werden. Mit diesem Verfahren ist es möglich, die Zeit zur Eintrimmung eines Labormodells auf ein erforderliches Minimum zu reduzieren. Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Entwicklung eines Regelalgorithmus für Fahrt eines Labormodells auf definiertem Kurs bei gegebener Fahrtgeschwindigkeit ohne Kopplung des Modells zum vorausfahrenden Schleppwagen bei hohem Seegang. Hierzu sollte ein in der SVA entwickelter Autopilot für Manöver in Glattwasser weiterentwickelt werden. Zahlreiche Testfahrten zeigten, das damit noch keine vollständige Regelung des Modells möglich war, da zum Beispiel ein Austauchen des Propellers, zusätzliche seitliche Kräfte infolge der Wirkung der Wellen auf den Schiffsrumpf und ein zeitweiliger Stabilitätsverlust durch schwankende Hebelarme bei nicht vertretbaren Kursabweichungen zum geforderten stabilen Kurs in ihrer Komplexität nicht ohne weiteres berücksichtigt werden können. Deshalb wurde beschlossen, die Kursregelung für die Schrägfahrten über ein modifiziertes Zick-Zack Manöver zu realisieren, wobei die in der SVA in den letzten Jahren kontinuierlich weiterentwickelte und verbesserte Hard- und Software zur Steuerung von speziellen Manövern genutzt wurde. Hierfür wurde eine Haltedauer definiert, welche zwischen den beiden Kurswechseln besteht und ein Vorhaltewinkel (Kurswinkel) bestimmt, bei dem das Ruder bereits in die Neutralstellung gebracht wird. Dieses erwies sich zum Ausgleich des Überschwingens des Modells als erforderlich. Diese beiden beschriebenen Arbeitspunkte waren für die Untersuchung des Einflusses der Deviationsmomente auf das Bewegungsverhalten eines Schiffes bei Fahrt in schräganlaufenden Wellen erforderlich. Dazu wurden mit zwei Labormodellen unterschiedlicher Schiffstypen (Yacht und Fährschiff) zahlreiche systematische Laborversuchsserien durchgeführt. Die Laborversuche wurden durch Simulationen ergänzt. Die umfangreichen experimentellen und numerischen Untersuchungen in regulären Wellen, Wellenpaketen und irregulären Wellen bei Variation zahlreicher Parameter, wie Geschwindigkeit, Wellenbegegnungswinkel, Seegangsstärke sowie Beladungsfälle und Massenverteilungen haben in der Analyse ergeben, dass bei Beibehaltung der Hauptachsenmomente bei veränderlichen Deviationsmomenten keine Unterschiede in den Bewegungen und Beschleunigungen aufgezeigt werden konnten, die außerhalb üblicher Seegangstoleranzen liegen. Damit können die Empfehlungen und Richtlinien seitens der ITTC bezüglich der Durchführung von Seegangsversuchen unterstrichen werden, nach denen die Deviationsmomente bei Untersuchungen von Ein-rumpfschiffen nicht berücksichtigt werden müssen. Die den bisherigen Markt bestimmenden Passagierschiffe, Fähren und Yachten werden nach den derzeitigen Prognosen voraussichtlich zunächst für die kommenden zwei Jahre zunehmend durch Spezialschiffe abgelöst. Dabei handelt es sich vor allem um Projekte für die Offshore-Industrie und Projekte von Behörden und der öffentlichen Hand. Dazu zählen Arbeitsschiffe und Versorger von Windkraft- und Offshore-Anlagen, die einen hohen Grad an Spezialtechnik aufweisen und bei denen ein Anlegen, Kurshalten und Positionieren unter Einfluss von Wind und extremen Seegangsbedingungen erforderlich ist. Mit Einsatz des entwickelten Eintrimmverfahrens und der verbesserten Versuchstechnologie im Seegang kann durch Zeit- und Kosteneinsparung schneller auf Anfragen reagiert werden und es wird durch erhöhte Prognosegenauigkeit ein Beitrag zur Erhöhung der Schiffssicherheit geleistet. Das Angebot dieser Verfahren als neue Dienstleistung der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam GmbH, SVA erhöht nicht zuletzt damit deren Wettbewerbsfähigkeit.
Zielgruppe und Zielmarkt
Das bestimmende Marktsegment der deutschen Schiffbauindustrie bestand in der letzten Dekade in der Produktion von Kreuzfahrtschiffen, Fähren und großen Yachten sowie einer Vielzahl anspruchsvoller Schiffe für Behörden und Ämter. Laut VSM erfolgte die Abkehr vom traditionellen Standardschiffbau bereits nach der Finanzkrise 2008. Ende 2019 entfielen 95% des Auftragsbuches auf die genannten Segmente gegenüber etwa 30% vor 15 Jahren, wobei die Konkurrenz zunehmend aus China kommt. Der Auftragsbestand deutscher Werften mit 54 Schiffen und einem Gesamtvolumen von 18,7 Mrd. € bewegte sich dabei auf einem hohen stabilen Niveau. Das konnte bisher durch eine weltweit führende maritime Systemkompetenz, der Beherrschung hochkomplexer Produktionsprozesse und zielgenauer Integrationsleistungen sowie einer spezialisierten, wettbewerbsfähigen und sehr breit aufgestellten Unternehmenslandschaft mit Hightech-Komponenten und Dienstleistungen mit höchsten technologischen Ansprüchen erreicht werden. Die Sättigung des Marktes und die Pandemie haben den Weltschiffbau seit bereits drei Jahren mit sinkenden Auftragsvolumen stark getroffen. Vor allem der Kreuzfahrtindustrie droht damit in den kommenden Jahren ein enormer Nachfrageausfall. Neben enormen Einschränkungen des Fährverkehrs und dem Stopp des Betriebes von Kreuzfahrtschiffen kam es 2020 zu Verlusten von etwa 20 Mrd. $. Weltweit blieben damit Neubestellungen in 2020 im Wesentlichen aus und vor 2024 ist mit einem signifikanten Umfang an Neubestellungen nicht zu rechen. Das hat auf den Schiffbaustandort Deutschland schwere Auswirkungen. Allein in 2020 fiel der Wert der Neubestellungen um 80% auf 0.9 Mrd. € gegenüber im Durchschnitt 4.3 Mrd. € der vergangenen fünf Jahre davor. Auch wenn der überwiegende Teil des Auftragsbestandes des deutschen Schiffbaus bis in 2021 durch verstärkte Anstrengungen gehalten werden konnte, übertreffen nunmehr Ablieferungen und Stornierungen die Auftragseingänge. Mit 49 Schiffen im Gesamtwert von 16.6 Mrd. € fiel der Auftragsbestand des deutschen zivilen Seeschiffbaus zum Ende 2020 auf den niedrigsten Wert seit fünf Jahren (Quelle: VSM-Jahresbericht 2020/2021). Mit dieser Entwicklung werden zahlreiche deutsche Werften, Zulieferer und Dienstleister wie die SVA gezwungen sein, sich neuen Herausforderungen zu stellen. In Bezug auf die Fokussierung und zielgerichtete Spezialisierung auf bisherige Marktsegmente ist ein Umdenken erforderlich, um sich weiterhin auf dem Markt behaupten zu können. Neue Felder mit einem enormen Bedarf an Forschung und Entwicklung sind dafür erforderlich. Unabhängig dieser Entwicklung ist in Bezug auf Sicherheitsfragen speziell unter dem Einfluss von Seegang und Wind deutlich geworden, dass bei der Vielzahl bestehender Vorschriften und Empfehlungen innerhalb der nächsten Jahre national als auch international im gesamten Bereich der Schiffbauindustrie einige Neuregelungen zu erwarten sein werden. Die Seetüchtigkeit wie die Prognose zur Kentersicherheit eines Schiffes ist in der Planungsphase wie auch im Schiffsbetrieb sowohl von enormer finanzieller als auch von sicherheitsrelevanter Bedeutung. Vor allem die Forderungen zum Nachweis der Kentersicherheit für den Schutz von Menschenleben und zur Sicherung der Ladung sind, geschuldet durch jüngste Schiffsunglücke, deutlich verschärft worden. Die Einbeziehung von immer weiteren neuen Typen an Spezialschiffen wird die Anforderungen an Vorschriften noch um ein weiteres steigern. Hier wird für die SVA eine Nische gesehen, durch den Einsatz verbesserter Versuchstechnologien und Verfahren mit einer höheren Prognosegenauigkeit für sämtliche Kursrichtungen eines Schiffes, den Markt vor allem im Bereich von Spezialschiffen, wozu Schiffe für Behörden und Ämter sowie des Offshore-Bereiches zählen, mit zu bestimmen. Eine weitere Chance der Marktbelebung wird darin gesehen, die Emissionsziele der IMO bis 2050 zu erreichen, die mit einer deutlichen Senkung der Schiffsemissionen verknüpft sind. Vor diesem Hintergrund besteht in der EU ein großer Bedarf die stark überalterte Flotte in vielen Schifffahrtssektoren durch neue innovative, klimafreundlichere Schiffe zu ersetzen. Auch auf dem Sektor des Marineschiffbaus, der ein Drittel der deutschen Schiffbauindustrie umfasst, besteht nach wie vor eine große Nachfrage an fortschrittlichen und innovativen Schiffen und Booten, wobei die hohe Exportquote die Wertschätzung der deutschen Marineschiffbauindustrie belegt (Quelle: VSM-Jahresbericht 2020/2021). In der Branche des Marineschiffbaus in der die SVA in den letzten Jahren einen festen Kreis an Stammkunden aufbauen konnte, kann die SVA durch die entwickelten neuen Verfahren und Technologien ihren Stellenwert erhöhen, um sich weiterhin im Wettbewerb mit anderen Versuchseinrichtungen behaupten zu können. Mit dem Einsatz des neuen Trimmverfahrens noch vor Abschluss des Forschungsvorhabens bei anderen Projekten wird die SVA bereits jetzt den Kundenwünschen nach Zeit- und Kostensenkung gerecht.