Ziel der Entwicklung
Die Zahl der Operationen, bei denen Implantate zur Stabilisierung von Knochenfrakturen oder als Gelenkersatz eingesetzt werden mussten, stieg in den letzten Jahren infolge der zunehmenden Alterung der Bevölkerung vor allem in den westlichen Industriestaaten, nach Traumata oder nach degenerativen Knochenerkrankungen wie Osteoporose bzw. Tumoren kontinuierlich an. Eine große Belastung für die Patienten als auch für das Gesundheitssystem stellen die steigende Anzahl von Revisionen dar. Ursache dafür ist unter anderem die Lockerung der Implantate nach der Rückbildung des implantatumgebenden Knochens.
Die Projektidee bestand daher darin, die Verankerung der Implantate im Knochen durch Beschichtung der metallischen Implantatoberfläche mit einem neuartigen Freisetzungssystem zu verbessern. Aus dieser Schicht sollen knochenwachstumsfördernde Wirkstoffe retardiert freigesetzt werden, die zu einem beschleunigten Einwachsen des Implantats beitragen und somit die Primärstabilität des Implantats steigern.
Das Ziel des Forschungsvorhabens war die Entwicklung einer Beschichtung mit nicht-proteinogenen Wirkstoffen aus der Gruppe der Estrogene, selektiven Estrogenrezeptormodulatoren und Carboanhydrase-Hemmern, für die in der Literatur bei systemischer Gabe ein knochenwachstumsfördernder Effekt nachgewiesen wurde. Nach dem Einbringen dieser Wirkstoffe in eine Trägermatrix aus resorbierbaren bzw. degradierbaren Polymermaterialien werden diese durch Polymerabbau über einen längeren Zeitraum freigesetzt und sollen das Wachstum des Knochengewebes unterstützen. Hierfür wurden sowohl Osteoblasten- als auch Osteoklastenparameter (siehe Bild) untersucht. Durch eine gezielte Anpassung der Polymereigenschaften hinsichtlich Hydrophilie und Degradation durch unterschiedliche Zusammensetzung diverser Polylaktone kann die Freisetzung der Wirkstoffe und damit ihre lokale Konzentration eingestellt werden, um eine optimale biologische Wirkung im Zielgewebe zu entfalten.
Vorteile und Lösungen
Ein langsames Einwachsen sowie insbesondere die Lockerung von Implantaten durch die Rückbildung des sie umgebenden Knochens stellen Probleme bei der Verwendung von Implantaten in der Chirurgie und Orthopädie dar. Bei den gegenwärtig angebotenen Implantaten wird versucht, diesem Problem hauptsächlich durch die Wahl des Materials, ihrer Struktur und Geometrie sowie ihrer Oberflächenbeschaffenheit zu begegnen. Eine weitere Möglichkeit, die Erneuerung des angrenzenden Knochengewebes zu fördern, bietet eine Funktionalisierung der Implantatoberfläche mit bioaktiven Substanzen. Bisherige Systeme basieren vor allem auf knochenwachstumsfördernden Proteinen, sogenannten Bone Morphogenetic Proteins (BMP), die gegenüber chemischen und physikalischen Einflüssen wenig stabil und in ihrer Herstellung kostenintensiv sind. Daher wurden im Rahmen dieses Projektes polymerbasierte Beschichtungssysteme entwickelt, die nichtproteinogene Wirkstoffe enthalten, welche das Knochenwachstum aktiv anregen können. Für die Beschichtung wurden natürliche und synthetische Wirkstoffe ausgewählt, von denen in klinischen Studien bereits ein positiver Effekt auf Dichte, Stabilität und Wachstum des Knochengewebes gezeigt werden konnte. Durch Diffusionsprozesse und den Abbau der wirkstoffhaltigen Trägermatrix werden die Wirkstoffe über einen therapeutisch relevanten Zeitraum von mehreren Wochen bis Monaten retardiert freigesetzt. Die freigesetzten Wirkstoffe fördern zum einen das Einwachsen des Implantats, zum anderen wirken sie in dieser Zeit der Knochenrückbildung entgegen. Im Gegensatz zu einer systemischen Gabe müssen diese Wirkstoffe nur in geringen Mengen in die Trägermatrix eingebracht werden, da sie direkt am Wirkort abgegeben werden, wodurch der Gesamtorganismus weniger durch unerwünschte Nebenwirkungen belastet wird. Implantate mit den im Projekt entwickelten Beschichtungen können im Gegensatz zu proteinhaltigen Funktionalisierungen sowohl durch Gamma-Bestrahlung als auch durch Ethylenoxid-Begasung ohne Beeinträchtigung der Freisetzung und insbesondere der biologischen Aktivität der freigesetzten Wirkstoffe sterilisiert werden. Die durch die Bearbeitung dieses Projektes entwickelten Beschichtungen sind nicht auf bestimmte Implantatformen und -materialien beschränkt und können z. B. für Dentalimplantate, Schrauben, Stifte oder Nägel verwendet werden. Sie stellen eine kostengünstige Alternative zu bestehenden Funktionalisierungen dar und zeigen eine verbesserte Stabilität hinsichtlich Sterilisierbarkeit und Lagerung.
Zielgruppe und Zielmarkt
Auf Grund der demografischen Entwicklung in den Industriestaaten und den damit einhergehenden altersbedingten degenerativen Veränderungen des Skeletts ist in den kommenden Jahren mit einem erhöhten Bedarf an Implantaten zu rechnen. Die im Rahmen des Forschungsprojektes entwickelten Beschichtungen, aus denen knochenwachstumsfördernde niedermolekulare Wirkstoffe freigesetzt werden, zeigen gegenüber den bisher am Markt verfügbaren oberflächenfunktionalisierten Implantaten wesentliche Vorteile hinsichtlich Lagerfähigkeit, Sterilisation und Kosten. Durch die Verwendung von bereits zugelassenen Wirkstoffen können die Risiken und die Kosten der für das Zulassungsverfahren erforderlichen Tierversuche bzw. klinischen Studien minimiert und gleichzeitig die Akzeptanz der beschichteten Implantate in der klinischen Praxis verbessert werden.
Der Nutzen des Projektes liegt für den Bereich Biomaterialien von INNOVENT in einem erheblichen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Synthese degradierbarer Polymere und Co-Polymere auf der Basis von Polylaktonen und Polyanhydriden sowie deren Abbauverhalten basierend auf speziellen Polymerzusammensetzungen. Des Weiteren wurden neue Methoden für das Einbringen von Wirkstoffen in die hergestellten Polymere erarbeitet sowie das Spektrum an Techniken zur Beschichtung von Implantaten erweitert. Umfangreiches Know-how konnte auch auf den Gebieten der Wirkstofffreisetzung und der Analytik geringer Wirkstoffmengen biologisch hochaktiver Substanzen sowie für den Nachweis ihrer biologischen Aktivität mittels echtzeit RT-PCR-Untersuchungen aufgebaut werden.
Die gewonnenen Erkenntnisse und zusätzliches Know-how erlauben INNOVENT seine Position als industrienahe Forschungseinrichtung im Bereich Biomaterialien zu festigen und auch zukünftig als kompetenter Forschungspartner für Aufträge aus der Industrie aufzutreten. Gegenwärtig werden die Ergebnisse der Forschungsarbeiten in Form von Postern und Fachvorträgen auf Tagungen dem interessierten Fachpublikum zugänglich gemacht, was letztendlich zu einer Erhöhung der wissenschaftlichen Reputation von INNOVENT auf diesem Forschungsgebiet beiträgt. Das erlangte wissenschaftlich-technische Know-how und insbesondere die gewonnenen praktischen Erfahrungen bei der Bearbeitung des Forschungsprojektes haben wesentlich dazu beigetragen, zwei weitere Projekte mit Industriepartnern zu initiieren.