Ziel der Entwicklung
Die Zulassung von Pestiziden oder Verbraucherchemikalien basierte jahrelang auf der Durchführung toxikologischer Tests an Tieren. In den letzten Jahren hat sich ein Markt für alternative Methoden zum Tierversuch entwickelt. Dabei hat sich vor allem die Verwendung von Zellkulturmodellen durchgesetzt, bei denen tierische Zellen im Labor kultiviert werden. Da man feststellen konnte, dass die Reaktionen dieser Zellkulturen auf chemische Substanzen nicht immer vollständig den realen physiologischen Reaktionen im Organismus entsprachen, wird derzeit intensiv an der Entwicklung neuer, körpernaher Testsysteme geforscht. Besonders bei der Untersuchung von Auswirkungen auf das respiratorische System ergibt sich ein entscheidender Kritikpunkt der konventionellen Zellkultivierung: das Fehlen mechanischer Kräfte, wie sie insbesondere während der Atmung vorkommen.
Ziel war daher eine Zellträgermembran zu entwickeln, die optimal an die Kultivierung adhärent wachsender Zellen angepasst ist und gleichzeitig mechanisch gedehnt werden kann. Insbesondere sollte die Membran beidseitig besiedelbar sein und über ein durchgängiges Porensystem verfügen, sodass ein Austausch von Signalstoffen zwischen zwei Zellschichten gewährleistet wird.
Vorteile und Lösungen
Poröse Zellkulturträger sind in der Zellkultivierung gut etabliert. Die vorliegende Membran unterscheidet sich aber in wesentlichen Eigenschaften von am Markt befindlichen Trägersystemen. Zum einen zeichnet sie sich durch ein hohes Maß an Dehnbarkeit aus und verfügt trotz 100 Mikrometer Schichtdicke über gute Reißfestigkeiten. Beide Seiten der Membran sind identisch und können mit Zellen besiedelt werden. Ein weiterer wesentlicher Vorteil des entwickelten Materials liegt zudem in der wirtschaftlichen Herstellung. Ausgangsstoff für die Membran waren additionsvernetzende medical-grade Flüssigsilicone, die auf Streichanlagen zu Meterware verarbeitet wurden. Die Erzeugung des Porensystems erfolgte durch Einmischung inerter Füllstoffe in das flüssige Polymer, die in der resultierenden Membran unter Dehnung zu Poren führen. Dabei wurde der Partikelgehalt so optimiert, dass ein durchgängiges Porensystem erreicht und gleichzeitig die Verarbeitbarkeit im Streichverfahren gewährleistet wurde. Permeabilitätstests zeigten, dass Proteine der Molekülgröße bis mindestens 200 kDa (Kilodalton) die Membran ab einer Vordehnung von 1:3 ungehindert durchdringen können. Die Membran ist transparent und gut zellverträglich. Die Eignung der Membran in der Zellkultur wurde mit Hilfe eines Zelldehnungsgerätes und verschiedenen Zelltypen untersucht. Eine Adhäsionsvermittlung erfolgt durch eine Beschichtung mit Kollagen. Alle getesteten Zellen zeigten ein gutes Proliferationsverhalten auf der Membran. Eine Dehnung führte nicht zu Zellschäden oder zum Absterben der Zellen.
Zielgruppe und Zielmarkt
Das Interesse an dehnbaren Zellkulturprodukten ist in den letzten Jahren enorm gestiegen. Das begründet sich unter anderem in den fortschreitenden Erkenntnissen in der zellulären Mechanosensorik und deren Einfluss auf physiologische und pathophysiologische Prozesse im Gewebe. Aufgrund der Kombination aus Porosität, Dehnbarkeit und beidseitiger Besiedlung ermöglicht die Membran eine körpernahe Simulation komplexer Gewebegrenzflächen und Barrieren in vitro. Die Siliconmembran kann somit genutzt werden, um Modellsysteme für die Charakterisierung der biologischen Verträglichkeit chemischer Substanzen oder Medikamente zu entwickeln. In dem Vorhaben wurde vor allem die Alveolar-Kapillar-Grenze der Lungenbläschen betrachtet. Es gibt aber weitere Gewebe, deren Funktion deutlich von der mechanischen Stimulation beeinflusst wird. Dazu zählen beispielsweise die Arterien des Blutgefäßsystems und aufgelagerte glatte Muskelzellen sowie Gewebe, die durch die Peristaltik des Darms regelmäßig verformt werden. Auch für diese Gewebe gibt es noch keine geeigneten Testsysteme. Neue Entwicklungsansätze sind hier vor allem in der Gestaltung der Oberfläche der Membran beziehungsweise der Struktur und chemischen Zusammensetzung von Beschichtungen zu sehen. Interessant wäre hier die Konstruktion mehrschichtiger Gewebestrukturen.