Ziel der Entwicklung

Logo: Film Insert Molding mit anschließendem Reaktionslack-Überzug ermöglicht die Herstellung hochwertiger Thermoplast-Dekorfolie-Coating — Verbundformteile mit Verstärkungsrippen und strukturierter Lackoberfläche in einer Fertigungszelle
Film Insert Molding mit anschließendem Reaktionslack-Überzug ermöglicht die Herstellung hochwertiger Thermoplast-Dekorfolie-Coating — Verbundformteile mit Verstärkungsrippen und strukturierter Lackoberfläche in einer Fertigungszelle

Aus Sicht der potenziellen Kunden bilden insbesondere das Design und die Wertanmutung eines Produktes bei ansonsten gleichwertiger Qualität und technischer Ausstattung wesentliche kaufentscheidende Faktoren. Zweckerfüllende Formteile aus thermoplastischen Kunststoffen erhalten somit erst durch exquisite Oberflächenlackierungen eine hohe Wertanmutung, welche auch den steigenden Anforderungen aus dem Automotive-, Sanitär- oder Gebrauchsgüter-Sektor gerecht werden kann. Klarlack-Überzüge mit optischer Tiefenwirkung erfordern Schichtdicken größer als 0,5 Millimeter. Mittels klassischem Lackieren lassen sich diese Dickschichten nur mehrstufig aufbauen, wobei der Veredelungsprozess hierdurch kostenintensiver und fehleranfälliger wird. Eine aus wirtschaftlicher und verfahrenstechnischer Sicht sehr interessante Möglichkeit zur direkten Beschichtung von Spritzgussformteilen resultiert aus der Umsetzung der Verfahrenskombination aus Thermoplast- und Reaktionsspritzguss. Die Verfahrenskombination basiert im Wesentlichen auf dem bekannten 2-Komponenten-Spritzguss (2K-Spritzguss), wobei hier als zweite Komponente ein reaktives Polyurethan (PUR)- oder Polyurea (PUA)-Lack-System in die Werkzeugkavität (RIM-Verfahren) eingetragen wird, welches sich bei der Vernetzung fest mit dem spritzfrischen Thermoplast-Träger verbindet. Beträchtliches Potenzial in Bezug auf die erreichbare Wertanmutung und Hochwertigkeit des Designs lässt die Erweiterung des oben genannten 2K-Spritzgusses durch das Hinterspritzen von Dekorfolien (Film Insert Molding – FIM) und anschließendem Überfluten mit einem reaktiven Klarlack erwarten. Allerdings bestehen hier insbesondere beim Kunststoff- und verarbeitungsgerechten Design technischer Verbundformteile für die oben beispielhaft genannten Anwendungsbereiche und dessen Umsetzung in funktionsgerechte Werkzeugtechnik vielfach Unsicherheiten, die für Interessenten und potenzielle Anwender der Technologie oftmals als nicht tragbares Investitionsrisiko bewertet werden. In diesem Zusammenhang werden häufig folgende Problemstellungen diskutiert: Die Spritzguss-Formteile sind häufig mit Rippen als geometrische Strukturversteifungen versehen. Zudem führt die Formteil- und Werkzeugkonstruktion meist zu einem Abzeichnen von Strukturversteifungen und Montageelementen auf der Sichtseite des Thermoplast-Trägers beziehungsweise des hinterspritzten Dekors. Zusätzlich muss eine anforderungsgerechte Verbundhaftung zwischen dem Thermoplast-Träger, der hinterspritzten Dekorfolie und den PUR- beziehungsweise PUA-Lack-Überzügen sichergestellt werden sowie die Möglichkeiten zur Herstellung von strukturierten und hochglänzenden Lack-Oberflächen auf einem Bauteil gegeben sein. Gesamtziel des Vorhabens ist daher die Entwicklung von Gestaltungsrichtlinien für Formteil-Konzepte mit Strukturversteifungen zur Herstellung von optisch hochwertigen Formteilen aus Thermoplast-Dekorfolie-Coating–Verbunden. Dabei dürfen sich rückseitige Strukturversteifungen und Montageelemente an hinterspritzten Dekorfolien nicht auf der Sichtseite des Verbundformteils abzeichnen. Im Rahmen der experimentellen Untersuchungen zur Auswahl, Verarbeitung und Direktbeschichtung von Dekorfolien müssen auch die spezifischen Haftungsanforderungen der PUR- beziehungsweise PUA-Coating-Systeme Berücksichtigung finden. Durch die prozesssichere Abformung von beispielsweise Hochglanz- und Struktur-Teilflächen auf der lackseitigen Werkzeughälfte sollen anspruchsvolle Design-Effekte realisiert werden.

Vorteile und Lösungen

Das Formteilkonzept „Hybridformteile aus Thermoplast-Dekorfolie-Coating – Verbunden“ stellt einen 3-Schichtaufbau mit einer thermoplast- oder metallbasierenden Dekorfolie als Mittelschicht dar, welche in Abhängigkeit vom jeweiligen Teilprozess der 2K-Verfahrenskombination unterschiedliche Funktionalitäten erfüllen muss. Erst einmal muss das Hinterspritzen von Dekorfolien ohne Einfallstellen auf der Dekorseite geschehen. Der Lösungsansatz beruht auf der Arbeitshypothese, dass sich durch Optimierung einer Kombination aus Foliendicke, Rippen-Gestaltung, Formmasse und Verarbeitungsbedingungen einfallstellenfreie Dekor-Formteile erzeugen lassen. Hierfür sollen zunächst Füll-Simulationen mit virtuell gestalteten, verrippten Auswerferseiten die nötigen Informationen für den später erfolgten Bau dieser Formeinsätze liefern. Das Modellformteil “Thermoplast-Träger“ mit Strukturversteifungen und Montagedomen auf der Formteil-Rückseite ist im zweiten Bild am Ende dieser Seite schematisch dargestellt. Vor der finalen Festlegung der Formteil-Geometrie wurden Modellrechnungen zur Simulation des Spritzgießprozesses durchgeführt. Im dritten Bild am Ende dieser Seite sind die wesentlichen Resultate der Spritzgießsimulationen zusammenfassend dargestellt. Demnach ist bei Verwendung der als „Standardtechnologie“ bezeichneten Einstellung mit einem höheren Einfallstellen-Risiko, der Häufigkeit und der Tiefe, in anspritzpunktfernen Bereichen zu rechnen, dies ist auf dem dritten Bild in der linkne Darstellung zu erkennen. Derartig gefertigte Formteile dürften den optischen Qualitätsansprüchen nicht genügen. Dagegen lässt sich eine Verbesserung der optischen Formteilqualität durch technologische Maßnahmen beim Spritzgießprozess erzielen. Insbesondere die Kombination aus der Erhöhung des Nachdruckes und der Nachdruckzeit führt in der Simulation zu einer deutlichen Reduzierung der Einfallstellen, dies ist im dritten Bild in der rechten Darstellung zu sehen. Al ein nächster Schritt erfolgt die Direktbeschichtung von einfallstellenfreien Dekor-Formteilen mit PUR- und PUA-Coating-Systemen: Die Verarbeitung beider Lack-Systeme differiert. PUR-Lacke benötigen interne beziehungsweise extern applizierte Trennmittel, um das Entformen aus der lackseitigen Werkzeug-Kontur überhaupt zu ermöglichen. Die PUA-Coating-Lacke sind dagegen intrinsisch selbsttrennend gegenüber dem Werkzeug-Stahl. Dieses unterschiedliche Entformungsverhalten lässt auch Unterschiede bezüglich der jeweiligen Haftung auf der Dekorseite des hinterspritzten Trägers erwarten. Im Rahmen dieser experimentellen Untersuchungen sollten auch bisher unbekannte Design-Effekte, zum Beispiel durch Abformung von Hochglanz- und Struktur-Teilflächen auf der lackseitige Werkzeughälfte, untersucht werden. Neben erzielbaren ästhetischen Aspekten standen hier vor allem Fragestellungen zur Prozess-Sicherheit der Abformung im Fokus der Untersuchungen. Im Wesentlichen musste der anspruchsvolle Teilprozess "Folien hinterspritzen" den durch die Verrippung der Auswerferseite entstehenden Anforderungen angepasst werden. Speziell durch weitere Erhöhung von Nachdruck und -zeit in Kombination mit Dekorfolien mit mehr als 500 Mikrometern Dicke konnten qualitativ hochwertige Formteile im Spritzguss erzeugt werden. Die Beschichtung mit Klarlack erhöht wie beabsichtigt die Wertanmutung der Verbundformteile, siehe dazu das vierte Bild. Der nächste Schritt bestand aus der Verwendung der Dekorfolien als Haftvermittler und Armierung. Die Erweiterung der Verfahrenskombination aus Thermoplast- und Reaktionsspritzguss durch das Hinterspritzen von Dekorfolien (Film Insert Molding) ermöglicht die Herstellung rückseitig verrippter, aber dennoch optisch makelloser Verbundformteile ohne Einfallstellen. Durch den Mehrschicht-Aufbau aus thermoplastischem Trägermaterial, Dekor- und Funktionsfolie und Klarlack-Überzug können bei geeigneter Zusammenstellung dieser Systemkomponenten hervorragende Verbundformteil-Eigenschaften erzielt werden. Dabei kommt der Verwendung einer Dekor- und Funktionsfolie auch als Haftvermittler zwischen thermoplastischem Trägermaterial und dem Klarlack-Überzug besondere Bedeutung zu. Vorteilhafter Nebeneffekt: Die eingesetzten Dekorfolien wirken im Mehrschicht-Aufbau armierend, sodass beispielsweise bei Verwendung von SAN-Formmassen als Trägermaterial deren Neigung zum Splitterbruch unterbunden werden konnte. Die Abformung der strukturierten Werkzeug-Oberflächen durch die Reaktionslacke erfolgte wie erwartet sehr präzise. Lediglich die mittels Laser-Ablation eingebrachte, sehr tiefe Bürst-Struktur kann wegen dem hohem Aspektverhältnis und der damit einhergehender schlechteren Entformbarkeit nicht empfohlen werden.

Zielgruppe und Zielmarkt

Beim Kauf von Produkten spielen die Wertanmutung und das Oberflächendesign eine entscheidende Rolle. Der Markt für Oberflächentechnik ist seit vielen Jahren sehr aktiv. Eine „Sättigung“ ist auch künftig nicht zu erwarten, da ständig neue Entwicklungen auf den Gebieten der Verarbeitungstechnik, der Optik, dem Design, der Effekte und der funktionalen Schichten sowie in unzählig weiteren Bereichen vorgestellt werden. Vielfach stellen neue Verfahren, Beschichtungsmaterialen und Dekorelemente jeglicher Art Verbesserungen oder Erweiterungen bestehender Techniken dar. Seit vergleichsweise kurzer Zeit hat die Verfahrenskombinationen aus Thermoplast- und Reaktionsspritzguss die Serienreife erlangt. Erste Anwendungen sind aus dem Bereich der Automobil-Zulieferer und der Erstausrüster (OEM) bekannt geworden. Weitere Anwendungen werden folgen. In diesem Kontext sind aus unserer Sicht die Ergebnisse des Vorhabens als wertvoller Zuwachs von know-how und Problem-Lösungskompetenz für die Formteil-Gestaltung, die Werkzeug-Gestaltung, die Auswahl von Materialien und Verbundpartner sowie für die sichere Prozess-Führung zu betrachten. Die beispielhaft aufgeführten Kompetenzen werden zu einer rascheren Verbreitung und Umsetzung der Technologie „Paketlösung“ bei Einhaltung prozessbestimmender Rahmenbedingungen führen. Die im Rahmen des Projekts entwickelten Lösungen sind auf die Herstellung hochwertiger, edel anmutender Consumer-Produkte und Design-Elemente fokussiert. Dabei bleibt der Prozess „Folien Hinterspritzen“ flexibel, so dass die Formteil-Fertigung nicht zwingend als 2K-Prozess mit Direkt-Beschichtung im Werkzeug geführt werden muss. Als Zielmärkte für die Umsetzung der Ergebnisse in die Fertigung werden Hersteller von hochwertiger Consumer-Technik für beispielweise großflächige Bauteile und Zier- und Verkleidungselemente sowie die Automobil-Zulieferer-Industrie, die Erstausrüster und Unternehmen der Spritzgießverarbeitung in Betracht gezogen. Mit Blick auf die automobile Oberflächendekoration der Zukunft hat das Kunstsoff Zentrum in Leipzig Dekor-Folien auf PC-Basis mit Radar- und Light Detection and Ranging-Funktionalität und einer besonders polyurethan-affinen Funktionsschicht entwickelt. Anlässlich der K-Messe 2019 wurde der Prozess aus „Injection Molding + IMD Decoration + PUR-Coating“ mit den Projektpartnern live vorgeführt. Auch eine potenzielle Partnerschaft mit den Unternehmen Yizumi & Frimo wird in Aussicht gestellt.